: Burgfrieden in der Kommission
■ Alles Müller: Umweltministerin schlichtet Leukämie-Streit
Die Streithähne wollen nicht mehr aufeinander einhacken. Am Mittwoch mußten sich der Vorsitzende der schleswig-holsteinischen Fachkommission zur Untersuchung der Leukämiefälle in der Elbmarsch, Otmar Wassermann, und sein Stellvertreter, Helmut Löffler, die Hand reichen. Leicht wird's ihnen nicht gefallen sein. Löffler hatte noch Ende Oktober die Abberufung Wassermanns aus der Kommission gefordert. Sein Vorwurf: Der Kollege Toxikologe verbreite wissenschaftlichen Unfug und sei durch seine atomkritische Haltung völlig verblendet.
„So nicht“, schaltete sich daraufhin die Kieler Umweltministerin Edda Müller ein und lud die Kampfhähne zum Klärungs-Gespräch. Mit Appellen der Marke „öffentliche Kontroverse nicht hilfreich“, „Streit beilegen“, „zur konstruktiven Zusammenarbeit zurückfinden“, brachte die Ministerin die Wissenschaftler wieder auf Konsens-Kurs und damit wieder an den gemeinsamen Kommissions-Tisch.
Ende 1995 soll das Gremium unter Federführung des alten und neuen Leiters Otmar Wassermann nun einen „gemeinsamen“ Abschlußbericht vorlegen. Einzelne Kommissionsmitglieder dürfen, so schrieb die Ministerin den Kontrahenten ins Stammbuch, „nicht ausgegrenzt werden“; sie dürfen allerdings auch keine Forschungsaufträge der Kommission mehr übernehmen. Am 17. und 18. November soll das Gremium nun sein Arbeitsprogramm für das kommende Jahr festlegen.
Kaum hatte sie den vorläufigen Burgfrieden unter Dach und Fach gebracht, da tourte Ministerin Müller in Sachen Leukämie schon wieder weiter. In Bonn vereinbarten sie und der Kieler Energieminister Claus Möller gestern mit Umweltminister Klaus Töpfer eine bundesweite Untersuchung von Regionen, die eine besondere Häufung von Blutkrebs-Erkrankungen ausweisen.
Denn nach dem „Stand der Wissenschaft“ existieren in der Republik möglicherweise auch eine Reihe von Leukämie-„Nestern“ (Cluster), ohne daß eine kerntechnische Anlage in der Nähe ist. Der Spiegel hatte als Bespiele unlängst eine Gemeinde in der Nähe von Lübeck und den Ort Stadtallendorf bei Marburg genannt. Hier habe sich während des Zweiten Weltkriegs eine Munitionsfabrik befunden.
Burgfrieden hin, Bundesuntersuchung her: Vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig wird am kommenden Dienstag, dem 8. November, erstmal eine Klage gegen den Betrieb des Kernkraftwerkes Krümmel, das im Verdacht steht, die Leukämie-Inflation ausgelöst zu haben, verhandelt. Ziel der Klage einer in der Umgebung des Atommeilers lebenden Bürgerin ist die Aufhebung einer 1991 durch das Kieler Energieministerium erteilten Genehmigung zum Einsatz sogenannter „GE-11“-Brennelemente. In der Klagebegründung der Elbmarsch-Bewohnerin heißt es: Da schon zum Genehmigungszeitpunkt die Häufung von Leukämiefällen in der Elbmarsch bekannt gewesen sei, hätte der atomare Freifahrtschein nicht ohne vorherige Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt werden dürfen. Marco Carini
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