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Her mit dem Ketchup!

■ Weihnachtsmärchen als Actionspektakel: „Die Schatzinsel“ fand im Ernst-Waldau-Theater ein kritisch-kompetentes Publikum

Darf man beim hier versammelten Lesepublikum noch voraussetzen, daß es neben „Moby Dick“ und „Peterchens Mondfahrt“ seinerzeit auch „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson kennen- und schätzengelernt hat? Man darf, nickt aufmunternd ein zufällig vorbeischauender Abonnent auf die entsprechende Anfrage und so soll denn hier auch darauf verzichtet werden, das turbulente Geschehen auszubreiten, das da jetzt im Ernst- Waldau-Theater als vorweihnachtliche Inszenierung für die Besucherin ab Sieben über die Bühne geht.

Zumal die kindgerecht komprimierte 70 Minuten-Fassung des wuchtigen Abenteuer-Schmökers den Inhalt ohnehin auf das reduziert, was dem zappenden Jungvolk für zumutbar gehalten wird: Da sirren und sausen die Degen, fliegen die Messer und rangeln sich Seeleute und Piraten, als ob sie ihr Handwerk in der Rüpelschar von Catch-Promoter Otto Wanz persönlich gelernt hätten. Die jungen Premierenzuschauer erleben Fernsehen mit 3-D-Effekt und steuern lautstark eigene Ideen zur Bereicherung ein: „Los, Mann, nimm besser ein Maschinengewehr“ fordert vehement ein vielleicht zehnjähriger Rotschopf und seine Nachbarin presst zwischen diversen Gummibärchen ihren Herzenswunsch an den Schiffsjungen Jim Hawkins hervor: „Reiß dem Holzbein die Krücke weg!“

Etwas verblüfft reagiert der tobende Saal auf den in der Eile recht unmotiviert erscheinenden Läuterungsprozess des holzbeinigen Schiffskochs John Silver vom bösen Piraten zum guten Piraten, doch als am Ende die Schurken auch mit ihrem Böse-Buben-Latein am Ende sind und die Guten samt reicher Schätze wieder ins glückliche England vergangener Tage zurücckehren, da engagiert sich das anwesende Jungvolk mit Leidenschaft für eine Begnadigung des Resozialisierten.

Offenbar hat Regisseur Bernd Poppe zwischenzeitlich dem Wunsche nachgehangen, aus dem derben Stück Kindertheater eine Art Musical zu machen, doch gottlob scheiterten solche Ansätze an mangelnder gesanglicher Kompetenz seines Personals. Fruchtbar hingegen verliefen hingegen die Übungsstunden mit der Fechtmeisterin:Action pur und ohne jeden Versuch, das Vergnügen daran durch pädagogische Mätzchen in die Zwangsjacke zu stecken. Vor allem Bernhard Wessels als Schiffsjunge Jim bietet sich als Identifikationsfigur an, während die Seeräuber Morgan (Andreas Lemke), Schwarzer Hund (Ulf Albrecht) und der stolpatschige Israel Hands (Uwe Pekau) so herzhaft böse sind, daß sie allen Haß der Kinderwelt auf sich ziehen. Auch wenn die Wandlung des John Silver viele Kids mental überforderte, konnte Poppe als Darsteller das Publikumschließlich für sich gewinnen.

Im Bühnenbild lieferte Gisela Brünker solides Handwerk: Seemannskneipe, Schiff und Schatzinsel wurden im Saal zweifelsfrei identifiziert und akzeptiert, was will man mehr.

Mit rund 100 Aufführungen dieser „Schatzinsel“ rechnet man bis Weihnachten in Walle:Im Wechsel mit „König Drosselbart“ für die Jüngeren wird Tag für Tag bis zu viermal gespielt! Spätestens nach der dritten oder vierten Vorstellung dürften dann auch die Unsicherheiten bei der Lichtregie vergessen sein, die beim Auftakt mehrfach ins Schleudern kam. Mein achtjähriger Nachbar monierte überdies, „daß die Leute nach der Schießerei gar keine Blutflecken hatten“. Her mit dem Ketchup!

Ulrich Reineking-Drügemöller

Nächste Vorstellungen: 4.11., 9 Uhr und 11.30 Uhr; 7.11., 9 Uhr

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