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SanssouciVorschlag

■ Härter und anständiger: Die Goldenen Zitronen im K.O.B.

Mein allererstes Oberstufenfest: Man schrieb das Jahr 1985, und in meiner kleinen holsteinischen Heimatstadt ahnte man noch nichts von den Stürmen der Weltgeschichte, mit denen das zu Ende gehende Jahrhundert noch aufwarten sollte. Einige leichtsinnige Abiturienten hatten für das Fest eine Gruppe aus dem nahe gelegenen Lütjenburg eingeladen, die den unverdächtigen Namen einer Tanz-Kombo führten: die Goldenen Zitronen. Unter Lehrern und Studienräten noch weitgehend unbekannt, schienen sie bei filzhaarigen Liebhabern des Karlsquell- Pilses unterdessen einen außerordentlich guten Ruf zu genießen: sämtliche Punks von Kiel bis Lütjenburg pilgerten in die 14.000-Seelen-Gemeinde, um gemeinsam mit uns zu feiern.

Viele der aufsichtspflichtigen Lehrkräfte hatten unvorsichtigerweise ihre Autos mitgebracht, von denen einige unversehens auf dem Rücken landeten. Am Abend zwang ein kühler Wind die frierenden Besucher, Autoreifen zum Entzünden von Lagerfeuern zu verwenden, während in unserer Aula zur Zitronen- Musik mit aller Kraft das Pogo-Tanzbein geschwungen wurde. Den Höhepunkt des Abends lieferte ohne Frage unser lieber Herr Rektor, als er mit hochrotem Kopfe selbst die Bühne betrat, dem Sänger das Mikrophon entwendete und das Konzert für beendet erklärte. Zweifellos ein mutiger Mann, unser Rektor...

Und heute, fast eine Dekade danach? An unserer Schule hat das Lehrerkollegium sämtliche Organisationsgremien fest in seiner Hand. Die Goldenen Zitronen sind nach Hamburg gezogen und haben sich längst vom Fun-Punk der frühen Tage verabschiedet. Mit ihren treuen Fans von damals wollen sie plötzlich nichts mehr zu tun haben: wer heute auf Konzerten um ein paar Takte ihrer einstigen Hymne „Für immer Punk“ bittet, sieht sich prompt mit dem Vorwurf konfrontiert, sie „zum Konservatismus zwingen“ zu wollen. Von plötzlicher Skepsis gegenüber den geweckten Geistern befallen, fragen sich die Musiker: Warum haben Linksradikale nur keinen Geschmack? Statt bierseligen Hymnen spielen sie nun also Protestsongs für linke Intellektuelle, modernisiert durch Rap-entlehnten Sprechgesang. Auf ihrer neuen Platte „Das bißchen Totschlag“ besitzen sie den Schneid, in einem Atemzug Sympathie für die Rebellen in Chiapas zu bekunden, Freiheit für Irmgard Möller zu fordern und mit dem deutschen Rassismus abzurechnen. Mittels ironisierter innerer Monologe und collagierter Gesprächsfetzen bewältigen sie dieses gewagte Unternehmen mit Anstand und fast ohne Peinlichkeiten.

Der derzeitige Sound der Goldenen Zitronen ist härter und aggressiver denn je, und man errät den starken Einfluß ihres ehemaligen Produzenten Billy Childish: dessen nahezu 200 Platten haben in jedem Falle schepprig, sixties-lastig und unbedingt analog aufgenommen zu sein. Alles in allem also eine Wendung hin zur Anständigkeit bei den Goldenen Zitronen. Ob sie meinen ehemaligen Rektor, wenn er denn morgen abend wieder die Bühne erklimmen sollte, erneut aus dem Saal jagen würden? Noäl Rademacher

Morgen, 22.30 Uhr, K.O.B., Potsdamer Straße 157, Tiergarten.

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