: Getarnte Ein-Mann-Unternehmen
■ Mit Scheinselbständigkeit und dubiosen Werkverträgen wird Schwarzarbeit immer häufiger verdeckt / EU-Ausländer treten vermehrt als selbständige Subunternehmer auf
Kevin ist Engländer und profitiert vom Zunftwesen des ausklingenden Mittelalters, das sich in Deutschland bis heute gehalten hat. Hier dürfen nur Meisterbetriebe bestimmte Arbeiten ausführen. In England ist das anders. Deshalb kann Kevin in London oder Manchester ein Gewerbe als Schlosser, Maurer oder Elektriker anmelden und sich kurzerhand zum Einmannbetrieb erklären. Er hängt also einen Campingwagen an seinen klapprigen Leyland und fährt nach Deutschland, um hier als scheinbar selbständiger Subunternehmer zu malochen.
Daß er nicht mal eine Zange oder eine eigene Bohrmaschine besitzt, tut seinem Ein-Mann-Unternehmen keinen Abbruch. Danach wird ihn die deutsche Baufirma auch gar nicht fragen. Für diese zählt nur, daß der Brite, selbst wenn sie ihm den Tariflohn eines deutschen Kollegen von rund 23,50 Mark zahlen müßte, außerordentlich kostengünstig arbeitet. Denn Selbständige müssen ihre Sozialabgaben und Einkommenssteuern selbst bezahlen. Und ob Kevin das tut, interessiert die Baufirma nicht. Für sie ist bloß wichtig, daß der EG-Ausländer rund dreißig Prozent billiger ist als sein deutscher Kollege.
Ein deutsches Bauunternehmen kalkuliert, je nach örtlicher Lage, pro Arbeitskraft und Stunde Kosten von 50 bis 80 Mark. Da diese Lohnkosten für einen Betrieb einen erheblichen Kostenfaktor darstellen, ist es Ziel der Unternehmen, sie zu senken. Eine Möglichkeit dazu stellt der Einsatz von Subunternehmern dar, die aufgrund der eigenen Betriebsstruktur billiger arbeiten können, weil sie zum Beispiel illegal Ausländer beschäftigen oder gar gänzlich aus einem Billiglohnland wie Portugal stammen.
Ein Mitarbeiter des Landesarbeitsamtes für Arbeitsschutz, der namentlich nicht genannt werden will, erklärte, daß die Schwarzarbeit immer häufiger im Zusammenhang mit sogenannter Scheinselbständigkeit und illegaler Arbeitnehmerüberlassung auftritt. Unter den Begriff Schwarzarbeit fallen eine ganze Reihe von Tätigkeiten. Von kleinen Handwerksleistungen nach Feierabend bis hin zur organisierten illegalen Erwerbstätigkeit unter Umgehung des Steuer-, Sozialversicherungs- und Wettbewerbsrechts. Vorsichtigen Schätzungen zufolge arbeiten auf Berliner Baustellen derzeit rund 25.000 illegale Arbeitnehmer aus osteuropäischen Ländern, die in keiner Statistik auftauchen. Doch derart offensichtliche Schwarzarbeit kann für die betreffenden Baufirmen seit der Novellierung des Gesetzes über die Schwarzarbeit teuer werden. Denn seit Mitte dieses Jahres werden nicht mehr ausschließlich die Subunternehmer, sondern auch die Hauptauftraggeber bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht zur Kasse gebeten.
Inwieweit diese Bestimmungen Wirkung zeigen, ist derzeit noch nicht feststellbar. Einer Erhebung der IG Bau-Steine-Erden zufolge hat sich die illegale Beschäftigung jedoch erheblich verschoben. Die Gewerkschaft beklagt, daß die Zahl illegal Beschäftigter aus dem mittel- und osteuropäischen Raum zwar rückläufig sei, dafür aber vermehrt illegale Beschäftigungsverhältnisse aus den EU-Staaten festgestellt werden.
Vor allem Arbeitnehmer aus Großbritannien würden mit Scheinselbständigkeit ausgestattet arbeiten. Dabei werden Arbeiter von EG-Firmen auf deutschen Baustellen als „Gesellschafter“, also als Selbständige tätig. Zweiter großer Vorteil gegenüber nichtselbständigen Arbeitnehmern: Sie brauchen keine Arbeitserlaubnis. Eine Möglichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu umgehen, besteht nach Mitteilung des Landesarbeitsamtes auch darin, die Lieferung von Fertigteilen und deren Montage durch ausländische Arbeitnehmer zu vereinbaren. Arbeiten für die Montage im Ausland gefertigter Teile können arbeitserlaubnisfrei sein, wenn Spezialisten erforderlich sind. So werden ausländische Arbeiter zu Spezialisten erklärt, arbeiten später jedoch als einfache Bauarbeiter. Peter Lerch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen