: Sisyphos macht immer weiter
■ Die Bayer-Basketballer mühen sich, aber verlieren auch ihr zweites Spiel in der Europa-Liga 77:87 gegen den FC Barcelona
Leverkusen (taz) – Das Wort „Ausgeglichenheit“ trägt einen deutlich widerwärtigen Beigeschmack mit sich herum: marginale Problemchen, in sich selbst ruhen, Verläßlichkeit, Selbstvertrauen, Schnarchigkeit. Und dennoch gibt es Menschen, die diesen Seelenzustand inbrünstig herbeisehnen. Dirk Bauermann, der smarte Trainer des deutschen Basketball-Meisters Bayer Leverkusen, gehört zu diesen Leuten. Zwar ist nicht bekannt, ob er sich Ausgeglichenheit im wirklichen Leben auch selbst an den Hals wünscht, aber zumindest für sein Team, da käme sie ihm mehr als nur gelegen. Noch nicht einmal für den routinemäßigen Bundesliga-Betrieb, denn dort reicht es in den meisten Fällen noch. Aber in der Europaliga bräuchte seine Mannschaft sie aufs dringendste.
Tom Garrick, Michael Koch, Abdul Shamsid-Deen, Henning Harnisch, Christian Welp. Das ist die erste Fünf, dann ist Schluß. Und nach der Schlußsirene sitzt man, wie so oft schon nach Europaliga-Spielen, im schlichten VIP- Raum der Wilhelm-Dopatka-Halle, schaut sich an, schaut sich um, ist kollektiv enttäuscht und trinkt Bier. Manager Otto Reintjes und Dirk Bauermann sitzen vorne hinter einem niedrigen Tisch und reichen sich gegenseitig das Mikrofon. Von der Leistung der Mannschaft ist der Trainer eigentlich nie enttäuscht, und da widerspricht ihm auch seltenst jemand, denn die Mannschaft spielt eben eigentlich auch immer gut, manchmal sogar besser – gemessen an ihren Möglichkeiten. So sieht man dann auch schon mal, wie am Donnerstag abend, über Shamsid-Deens lächerliche Freiwurfquote (20 Prozent), Kochs enttäuschende Drei- Punkte-Ausbeute (14,3 Prozent) und Welps mäßiges Spiel unter dem Korb hinweg. Denn Dirk Bauermann und alle anderen, die sich für europäischen Spitzenbasketball interessieren, wissen, daß Gruppengegner wie Buckler Bologna, Olympiakos Piräus und natürlich auch F.C. Barcelona über einen Kader mit acht, neun nahezu gleichwertigen Spielern verfügen. Und da Bayer deren lediglich fünf vorweisen kann, sehen die Zuschauer eigentlich immer wieder das gleiche Europaliga-Spiel, zumal wenn es gegen nominell bessere Mannschaften geht: Die beiden Amerikaner Garrick und Shamsid-Deen spielen in der Regel die kompletten 40 Minuten durch, Koch und Harnisch tun das fast, und lediglich als Center wechseln sich Welp, Sascha Hupmann und Detlef Musch ab.
Auch dramaturgisch läuft das Ganze in der Regel nach einem imaginären, ewig gleichen Script ab. Bayer fällt zurück, holt dann zwischendurch tapfer auf, geht möglicherweise noch einmal in Führung und bricht dann in den letzten Minuten aufgrund von Konditions- oder Foulproblemen komplett weg. So war es auch im Spiel gegen Barcelona, als die Führung nicht weniger als zwölfmal wechselte. So war es an so vielen Abenden in den letzten Jahren gegen Piräus, Madrid, Treviso, und so wird es wohl auch weitergehen. Diesmal stand am Ende ein 77:87.
Da scheint die Frage angebracht, ob dieses ganze Treiben eigentlich noch einen Sinn macht. Soll man diese armen fünf Menschen weiter so quälen, nur daß sie regelmäßig ein ausgewachsenes Konditionsproblem befällt? Natürlich, ist die einzig richtige Antwort. Denn Leverkusens Euro-Loser sind die „Hoffnungsträger des deutschen Basketball“ (dpa). Sie vor allem schinden sich, um ihren Sport in Deutschland zusehends populärer zu machen. Ihre Hingabe in diesem sisyphosartigen Bemühen nötigt verdammten Respekt ab, und, nicht zu vergessen, wer von uns will denn schon „ausgeglichen“ sein. Thomas Lötz
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