Ein Punkt von strategischer Bedeutung

■ Durch die bosnisch-kroatische Eroberung der Stadt Kupres sind die Karten im bosnischen Krieg neu gemischt: Welches sind die Ziele der neu-alten Allianz, und wie reagieren die bosnischen Serben auf...

Durch die bosnisch-kroatische Eroberung der Stadt Kupres sind die Karten im bosnischen Krieg neu gemischt: Welches sind die Ziele der neu-alten Allianz, und wie reagieren die bosnischen Serben auf ihre erste große Niederlage?

Ein Punkt von strategischer Bedeutung

Jubel in Sarajevo, Glückwünsche von Präsident Izetbegović, Zerknirschung bei Karadžić, der seine erste große Niederlage eingestehen mußte: „Ein taktischer Rückzug“, sagt der Führer der bosnischen Serben, wie bei solchen Gelegenheiten üblich. Die neue, von den USA initiierte Allianz der bosnischen Regierungstruppen und der kroatisch-bosnischen Kräfte hat die Stadt und den Paß Kupres erobert und damit, so die UNO, einen „Punkt von strategischer Bedeutung“.

Denn wer den Kupres-Paß beherrscht, kontrolliert die Hauptstraße nach Zentralbosnien, die über das von der bosnischen Armee kontrollierte Bugojno nach Travnik, Zenica und Tuzla führt. Deshalb haben auch die bosnischen Regierungstruppen größtes Interesse an dem Sieg. Schwere Lastwagen könnten dann Zentralbosnien erreichen, die Versorgungskonvois könnten ungehindert rollen.

Die Serben verlieren mit dem Rückzug von Kupres die Verbindung zwischen Westbosnien sowie der serbisch besetzten Krajina mit den von ihnen kontrollierten Gebieten in der Herzegowina. Bosnier und Kroaten könnten nun nach Norden vorstoßen und die bosnischen Serben von ihren Landsleuten in den serbisch besetzten Gebieten Kroatiens abschneiden. Dies wiederum liegt im Interesse Kroatiens, weil die Krajina-Serben sich bisher einer Einigung mit Zagreb widersetzt haben.

Es ist nicht Liebe, die die beiden ehemaligen Verbündeten wieder zusammenführt – aber sie haben ein gemeinsames Interesse. Die bosnischen Kroaten wollen die Provinz Kupres zurückerobern, weil sie historisch immer zur Westherzegowina gehörte, obwohl sie nach dem letzten Zensus von 1990 zu 51 Prozent von Serben bewohnt ist. Und für die bosnische Armee bedeutet der Sieg in Kupres eine entscheidende Rückendeckung für ihren Angriff auf die benachbarte zentralbosnische Stadt Jaice, die im Herbst 1992 wegen der damaligen Konflikte zwischen Kroaten und Bosniern an die Serben verlorengegangen war. Die gemeinsame Aktion am Kupres-Paß festigt zudem die bosnisch-kroatische Föderation in Bosnien, die im Washingtoner Vertrag im Februar 1994 festgelegt wurde.

Noch sind die Ziele der Offensive nicht offiziell definiert. Doch verschiedene Quellen – Regierungskreise in Sarajevo, UNO- Vertreter und Vertreter der bosnischen Kroaten aus Mostar – lassen darauf schließen, daß die Offensive auf die Gebiete zielt, die nach dem Plan der Kontaktgruppe (USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland) der bosnisch-kroatischen Föderation zugesprochen sind. Nachdem die bosnisch-serbische Führung unter Radovan Karadžić den Plan abgelehnt hatte, zeige nun die bosnisch-kroatische Föderation, daß sie militärisch in der Lage ist, die serbischen Truppen zu schlagen. Daß dies ohne die Rückendeckung der USA nicht möglich sei, mochte keiner der Gesprächspartner bestreiten. Die Unterstützung der Clinton-Administration für die Föderation und der verdeckte Waffenzufluß für die bosnische Armee via Kroatien seien die Schlüssel für den bisherigen Erfolg der Offensive. Letztlich gehe es darum, vor dem Winter strategische Positionen auszubauen, ohne den Anspruch, jetzt schon das gesamte Gebiet zu erobern.

Für diese Interpretation spricht der bisherige Verlauf der Offensive. In der Region Bihać eroberten die bosnischen Regierungstruppen die südlich gelegenen Gebiete, die vor der Vertreibung der dort ansässigen muslimischen Bevölkerung (vor dem Krieg 67 Prozent) mehrheitlich muslimisch waren. Der Angriff auf die Stadt Bosanska Krupa eröffnet den Weg auf die ehemals mehrheitlich muslimisch bewohnten Gebiete um Prijedor und Bosanski Most, wo die serbischen Truppen 1992 große Massaker begingen und die Bevölkerung vollständig vertrieben. In Ostbosnien wurden bei Doboj und Gradačac ebenfalls Geländegewinne in Gebieten erzielt, die nach dem Plan der Kontaktgruppe der Föderation zugeschlagen sind. Und die Kämpfe am Berg Igman bei Sarajevo zielen auf Positionsverbesserungen der bosnischen Armee, die nun in der Lage ist, die für den Nachschub aus Montenegro wichtige Verbindungsstraße von Pale nach Foća zu bedrohen.

Obwohl die bosnische Regierung die serbische Bevölkerung dazu aufgerufen hat, in ihren Wohngebieten zu bleiben, und klarstellte, daß die bosnische Armee keine „ethnischen Säuberungen“ vornehmen wolle, sind 180.000 Serben aus den umkämpften Gebieten vor allem südlich von Bihać geflohen.

Die von den bosnischen Serben zuletzt gestern angekündigte Gegenoffensive ist bisher ausgeblieben. Dabei mangelt es ihnen nicht an Material. UNO-Quellen bestätigen inoffiziell serbische Nachschublieferungen via Montenegro. Außerdem ist die Rede von geheimen Waffen- und Munitionslagern in der Stadt Pijesak. Entscheidend für die Schwäche Karadžićs scheint zu sein, daß der serbische Präsident Milošević gegen die bosniakisch-kroatische Offensive offenbar nichts einzuwenden hat, solange sie nicht über die von der Kontaktgruppe der Föderation zugesprochenen Gebiete hinausgeht. Erich Rathfelder, Split