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Vampire mit Dachschaden Von Ralf Sotscheck

Manche Menschen werden aus Schaden klug. Ich gehöre leider nicht dazu. Nachdem im Lauf der Jahre inkompetente Fernsehmechaniker, Elektriker, Glaser und Möbeltischler ihre Spuren der Verwüstung hinterlassen hatten, erklärte ich das Haus zur „No Go Area“ für irische Handwerker. Ein paar Knoblauchzehen und eine Gießkanne voller Weihwasser sollten sie abwehren, denn Dublins Handwerker saugen ihre Opfer bis aufs Blut aus und richten ihr Werk der Vernichtung mit Vorliebe nach Einbruch der Dunkelheit an. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Dubliner Schriftsteller Bram Stoker durch die Vorfahren meiner Handwerker zu seinem Dracula- Roman inspiriert worden ist.

Am Freitag ließ meine Wachsamkeit einen Moment nach, weil ich meinen Nachbarn erspähte, der auf der Motorhaube seines Autos stand und durch ein Fernglas sein Dach beobachtete. Oben kletterten zwei Männer herum und machten besorgte Gesichter. „Wir machen die Regenrinnen sauber“, erklärte einer von ihnen. „Das sollten Sie auch machen lassen, verstopfte Regenrinnen können böse Folgen haben.“ Er kam die Leiter herunter und zeigte mir das Foto einer Ruinenlandschaft. „Daran sollen verstopfte Regenrinnen schuld sein“, fragte ich ungläubig, er nickte bedeutsam. Inzwischen weiß ich, warum mir das Foto bekannt vorkam: Es war eine Aufnahme von Coventry nach dem Luftangriff der Nazis.

Jedenfalls willigte ich in die Reinigung der Dachrinnen für fünf Pfund ein, weil mir schon schwindlig wird, wenn ich auf einen Hocker steigen muß, um eine Glühbirne auszuwechseln. Damit sie an die hintere Dachrinne gelangen konnten, mußten die beiden Männer ihre Leiter durch das Haus zum Hintereingang tragen und dabei drei Ecken bewältigen. Das ging erwartungsgemäß schief: An der ersten fegten sie einen Blumentopf vom Regal, bei der zweiten zogen sie eine Furche in die Wand, und an der dritten Ecke mußte ein Bilderrahmen dran glauben.

Zu meiner Überraschung hatte mein Nachbar den beiden Männern vierzig Pfund gezahlt. „Glücklicherweise haben sie beim Säubern der Regenrinnen bemerkt, daß zahlreiche Dachziegel lose waren“, erklärte er mir. „Sie haben die Ziegel festzementiert.“ Offenbar ist das Problem weiter verbreitet, als man annimmt — die beiden Handwerker diagnostizierten auch bei mir lose Ziegel. Zum Beweis schwenkten sie ein paar davon durch die Luft und malten in düsteren Farben ein Bild der Zerstörung, das der Regen anrichten würde, falls ich den Schaden nicht umgehend reparieren ließe.

Das klingelnde Telefon hielt mich davon ab, einen weiteren Fehler zu begehen. Der irische Kollege am anderen Ende, dem ich von der verblüffenden Zerstörungskraft ungewarteter Regenrinnen erzählte, sagte, es sei doch ein Segen, wenn man seriöse Handwerker kennen würde. „Die unseriösen“, so fügte er unter Hinweis auf eine Fernsehdokumentation hinzu, „reißen dabei nämlich gleich noch ein paar Dachziegel heraus und erzählen ihren naiven Opfern, man müsse die Ziegel sofort einzementieren, um das Unheil abzuwenden.“

Seit Freitag regnet es durchs Dach. Ich habe den Knoblauch und das Weihwasser inzwischen durch eine Selbstschußanlage und zwei Fangeisen ersetzt.

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