: Der Siegeszug der Socke
Strukturwandel bei der Strumpfindustrie / Branchenprimus Kunert schafft mit Werksverlagerungen und Ökobilanzen schwarze Zahlen ■ Von Klaus Wittmann
Immenstadt/Allgäu (taz) – Die Chefs von Kunert haben ein gediegenes Ambiente gewählt. Im Millerzimmer des Münchner Künstlerhauses stellen sie ihre fraglos fortschrittliche Ökobilanz vor – zum fünften Mal schon. Entgegen dem Branchentrend kann der Marktführer unter den deutschen Strumpfhosenherstellern nach dem Verlustjahr 1992 wieder schwarze Zahlen melden: Bei einem Umsatz von 630 Millionen Mark blieb ein Gewinn von 7,6 Millionen übrig. Müllvermeidung und Energiesparen rechnen sich.
Aber der Branchenprimus zeigt an anderer Stelle, was unter Strukturwandel noch zu verstehen ist. Rund achtzig Kilometer entfernt, im niederbayerischen Vilsbiburg, sitzen am selben Abend Kunert- Betriebsräte und -Beschäftigte beisammen. Was in München ihr oberster Chef, der Vorstandsvorsitzende Rainer Michel, eher beiläufig erwähnt, ist für sie ein Schreckgespenst. Kunerts Tochterfirma Hudson mit 217 Beschäftigten soll geschlossen werden. Die Manager wollen die Strickerei nach Svit in der Slowakei verlagern – wegen der dort viel niedrigeren Lohnkosten.
Schon dreimal seit dem Kriegsende hat sich die deutsche Strumpfhosenindustrie völlig neu orientiert. In den fünfziger Jahren mußten wegen der Umstellung von Naht- auf Nahtlosstrümpfe völlig neue Produktionsanlagen angeschafft werden. Zehn Jahre später folgte mit dem Triumphzug des Minirocks die Umstellung auf Strumpfhosen, und schließlich – vor 25 Jahren – begann die Verdrängung durch die Jeans. Die Folge war ein drastischer Umsatzrückgang. Gab es 1970 noch 95 Strumpffabriken mit 37.700 Beschäftigten, sind es jetzt nur noch 25 Werke mit 14.500 Leuten.
In den verbliebenen Strumpf- Chefetagen heißt es heute, die Legginsmode, der Trend hin zu Damensöckchen und der heiße Sommer seien schuld am über 30prozentigen Umsatzrückgang der Branche. Obwohl die großen Strumpfhersteller ganz eifrig an einem neuen Sockenimage basteln und, wie Kunert und Falke, recht erfolgreich Biosocken produzieren, hat sich das Image deutscher Qualitätserzeugnisse aber auf diesen Produktionszweig noch nicht übertragen lassen. Während über die Hälfte der hierzulande verbrauchten Strumpfhosen aus dem Inland stammen, liegt die Importquote bei Strickstrümpfen bei 85 Prozent. Die Folge sind reihenweise Pleiten und Werksverlagerungen ins Ausland.
Im August war es der Konkurs der Edwin E. Rössler KG Sonthofen (Ergee), der eine ganze Region schockierte. Vier Wochen später folgte Elbeo-Augsburg (Vatter- Gruppe Schongau/Sara Lee Corp. Chikago) mit der Ankündigung, daß das Augsburger Werk geschlossen werde. Auch die Feinstrumpffabriken Gutwein + Perel in Schöneck-Kilianstädten, die die ostdeutsche Traditionsmarke „Esda“ produzieren, schließen ihr Stammwerk in Hessen. Künftig wird nur noch an den beiden Standorten in den neuen Bundesländern produziert.
Die inländische Konzentration wird von allen Herstellern konsequent betrieben. Aus zwei oder drei Strickereien wird eine, von den jeweils 200 bis 300 Beschäftigten bleibt nicht einmal die Hälfte übrig. Möglich wird dies durch neue, hochtechnologische Strickmaschinen, die immer weniger Personal erfordern. Dort aber, wo in der Herstellung noch immer viel Handarbeit anfällt, verlagert man entweder ins Ausland oder vergibt Lohnaufträge. Inzwischen stehen auch hochmoderne Maschinen in Tschechien, Slowenien und in Lettland – als Leihgeräte für die Lohnproduktion. Auch Hudson hatte zuvor schon in Svit in Lohnarbeit Socken fertigen lassen.
Zum Sparkurs bei Kunert gehört aber außer der Arbeitsplatzverlagerung auch der Ökokurs. Seit fünf Jahren kontrolliert das Unternehmen ganz exakt Input, Output und Bestand auf Umweltverträglichkeit. Zahlreiche Einsparmöglichkeiten beim Energie- und Rohstoffverbrauch wurden genutzt. Auch eine ganze Reihe von Farbstoffen und Chemikalien wurde aus der Produktion verbannt. Für allergieverdächtige Dispersionsfarben, zwei nickelhaltige Farbstoffe und PVC-Artikel wurde eine Einkaufssperre verhängt. Weder Chrom, Kupfer, Kobalt oder Blei dürfen bei Kunert verwendet werden, von einem kleinen Bereich bei blickdichten Mikrofaserstrümpfen abgesehen. Neue Färbermaschinen mit Hochfrequenztrocknung wurden aufgestellt und der Abfallanteil erheblich verringert.
In Zahlen ausgedrückt, sieht die Ökobilanz so aus: 3,4 Prozent weniger Müll und eine Senkung des Energieverbrauchs von 49,7 auf 47,9 Kilowattstunden pro Kilo Strumpfhose. Der Verpackungsanteil wurde von 32 auf 29,3 Prozent reduziert. Die Rauchgasbelastung ging um 14 Prozent zurück, und fast neun Liter weniger Wasser pro Kilo Strumpfhose werden benötigt. Daß noch lange nicht das Ziel einer ökologischen Produktion erreicht ist, gibt auch das Kunert-Management zu. Genauso wird kein Hehl daraus gemacht, daß kaufmännisches Kalkül der Hauptaspekt für die Ökobilanz war: Etwa zwei Millionen Mark konnte Kunert aufgrund der Maßnahmen im letzten Jahr sparen. „Wir haben die Quadratur des Kreises versucht, nämlich Ökologie und Ökonomie zu verknüpfen. Was zunächst von Mitbewerbern belächelt wurde, funktioniert“, konstatiert Michel. Erste Erfahrungen hätten gezeigt, daß „das typische Industrieunternehmen etwa 20 Prozent der Umweltbelastungen reduzieren und zugleich etwa zwei Prozent der Gesamtkosten des Unternehmens sparen kann.“ Hätte der Staat den Mut, Emissionen und alle sonstigen Umweltschäden verursachergerecht zuzurechnen, wäre das ökologische und ökonomische Prinzip fast uneingeschränkt identisch, resümiert der Kunert-Chef.
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