: Stationen einer Vernehmung
Unter dem Druck der Bundesanwaltschaft beschuldigte die Palästinenserin Soraya Ansari die Deutsche Monika Haas, Waffen nach Mallorca gebracht zu haben ■ Von Gerd Rosenkranz und Jürgen Gottschlich
Berlin (taz) – „Ich hatte Zeit, meine bisherigen Aussagen zu überdenken. Ich bin jetzt bereit, neue, vertiefende Angaben zur Sache zu machen.“ Die Person auf dem Foto sei Monika Haas, die sich am 7. Oktober 1977 in einem Hotel in Mallorca mit Mitgliedern einer palästinensischen Kommandogruppe getroffen habe. Aufgrund dieser Aussage der in Oslo verhafteten Soraya Ansari, auf deren Auslieferung nach Deutschland die Bundesregierung drängt, wurde Anfang dieser Woche gegen die 47jährige Monika Haas ein Haftbefehl ausgestellt. Obwohl der zuständige Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) den Haftbefehl außer Vollzug setzte, wird Monika Haas in U-Haft festgehalten. Dort wird sie bleiben, bis der 3. Strafsenat des BGH über die Beschwerde der Bundesanwaltschaft entschieden hat, die den Haftbefehl vollstreckt sehen will.
Soraya Ansari wurde am 13. Oktober in Oslo verhaftet. Sie ist die einzige Überlebende des palästinensischen Kommandos, das am 13. Oktober 1977 die Lufthansamaschine „Landshut“ auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt entführte. Zur selben Zeit hielt ein Kommando der RAF den damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer gefangen. Mit Geiselnahme und Flugzeugentführung wollte die RAF die Freilassung elf ihrer Mitglieder aus dem Knast erzwingen.
Ansari, die bei der Erstürmung der „Landshut“ in Mogadischu durch die GSG 9 schwer verletzt wurde, wurde in Somalia zu 20 Jahren Knast verurteilt, kam aber nach anderthalb Jahren wieder frei. Sie tauchte in Beirut unter, hat später, nach eigenen Angaben, zeitweilig auf Zypern gelebt und kam 1991 zusammen mit ihrem Mann und einer neunjährigen Tochter nach Norwegen. In Norwegen fühlte sie sich wohl. Vor allem für ihre Tochter wäre nach Meinung ihrer norwegischen Anwältin Heidi Bache-Wiig, die Auslieferung der Mutter nach Deutschland „eine Tragödie“. Woher das Bundeskriminalamt (BKA) den entscheidenden Hinweis auf den Aufenthalt Ansaris in Norwegen bekam, ist bislang nicht bekannt. Vermutungen, Stasi-Akten könnten der Behörde den Weg gewiesen haben, sind nicht ganz abwegig, geben aber keine Erklärung dafür, warum das BKA nach Auswertung der Stasi-Akten 1991 noch drei Jahre brauchte, um Ansari zu finden.
Der Name Monika Haas wird dagegen in den Stasi-Akten direkt genannt. Seit der Flugzeugentführung 1977 fahndete das BKA nach einer Person, die die Waffen für das Entführungskommando nach Mallorca gebracht haben soll. In der Stasi-Akte „OV-Wolf“ fand sich dann 1992 ein Hinweis auf Monika Haas. Allerdings wurde sie von der Stasi auch verdächtigt, für einen westlichen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Einen im März 1992 erlassenen Haftbefehl hob der BGH im Mai 1992 wieder auf, weil nach Ansicht der Richter Stasi-Akten „als solche“ keinen dringenden Tatverdacht begründen könnten. Den glaubt die Bundesanwaltschaft nun mit den Aussagen von Soraya Ansari liefern zu können.
Ansari wurde nach ihrer Verhaftung zunächst von der norwegischen Polizei vernommen. In insgesamt vier Verhören gab sie zu, an der Flugzeugentführung beteiligt gewesen zu sein und machte genaue Angaben zum Ablauf der Aktion. Diese Vernehmungen endeten am 21. Oktober, acht Tage nach ihrer Verhaftung. Am 25. Oktober durften dann die Deutschen ran. Insgesamt drei Tage nahmen die Karlsruher Oberstaatsanwälte Hohman und Siegmund sowie zwei BKA-BeamtInnen Ansari intensiv ins Gebet. Darunter die Beamtin Possiege, die schon Monika Haas bereits mehrfach vernommen hatte.
Nach Angaben von Armin Golzem, dem Rechtsanwalt von Monika Haas, sind die Protokolle der Vernehmung eine „Fallstudie, wie eine Person zerbrochen wird“. Drei Tage lang wird Soraya Ansari im wesentlichen nach Monika Haas befragt, drei Tage lang kann sie sich nicht erinnern, Monika Haas, die sie aus dem Jemen flüchtig kannte, in Mallorca gesehen zu haben. Trotz in Aussicht gestellter Kronzeugenregelung endet die Vernehmung von Ansari damit, daß sie gegenüber den deutschen Fahndern sagt, sie wisse zwar, daß es für sie sehr wichtig wäre, zu bestätigen, daß sie Monika Haas auf Mallorca gesehen habe, sie könne sich aber trotzdem nicht daran erinnern. Es sei jedoch möglich, daß Monika Haas da war. Ein für die Bundesanwaltschaft insgesamt völlig unbefriedigendes Ergebnis, das der taz trotz anderslautender Pressemeldungen aus Oslo von informierter Seite bestätigt wurde. Bis jetzt ist nichts herausgekommen, hieß es.
Der Durchbruch kam eine Woche später, am 4. November. Soraya Ansari war in sich gegangen und ließ in Karlsruhe mitteilen, sie wolle erneut aussagen. In dieser Vernehmung bestätigte sie, was Bundesanwaltschaft und BKA die ganze Zeit hatten hören wollen. Die Person, die den Sprengstoff, in einem Kinderwagen versteckt, ins Hotel in Mallorca gebracht habe, sei Monika Haas gewesen.
Soraya Ansari, soviel wird aus den Protokollen ihrer Vernehmung klar, will auf keinen Fall nach Deutschland ausgeliefert werden. Rechtlich ist ihre Auslieferung zwar nicht einfach, aber durchaus möglich. Norwegen hat 1985 das Europäische Auslieferungsabkommen unterzeichnet, das auch für zurückliegende Straftaten gilt. Der Haftbefehl wegen Geiselnahme, erpresserischem Menschenraub und Beihilfe zum Mord ist mit norwegischen Gesetzen vereinbar. Auch die Tatsache, daß sie in Somalia für die selben Taten bereits einmal verurteilt wurde, ist nach internationalem Recht kein Hinderungsgrund, Ansari auszuliefern und sie in Deutschland noch einmal zu verurteilen. Laut Grundgesetz müßte ihr nur die bereits in Mogadischu verbüßte Strafe angerechnet werden – was bei lebenslänglich, also bei 15 Jahren plus x, nicht erheblich ins Gewicht fällt.
Zwar wird nach Auskunft von Wolfgang Schomburg, Spezialist für Auslieferungsrecht in Berlin, europaweit über ein Verbot der Doppelbestrafung diskutiert – durchgesetzt ist es aber nicht einmal in der EU. „Allerdings“, so Schomburg, „sind gerade norwegische Gerichte in diesem Punkt sehr sensibel. Ein Auslieferungsbegehren könnte Jahre bei den Gerichten liegen.“ Für die Bundesanwaltschaft ein Motiv, einen Deal mit Frau Ansari anzustreben. Falls diese die gewünschten Auskünfte gibt, könnte das Auswärtige Amt Norwegen gegenüber auf eine Auslieferung verzichten.
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