: Blaue Kunst, so rrrrrot
■ Zu Besuch bei Oliver Flügge, einem der großartigen Maler des Blaumeier-Ateliers in Walle: Der Beherrscher der Primärfarben und Marktpreise
“Jetzt will ich was sehen!“ – „Jetzt zeig ich dir was!“
Jetzt zeigt mir Oliver Flügge, den alle Ollie nennen, wie ein Bild entsteht. Eins seiner Bilder. Eins seiner berühmten Bilder. Denn Ollie ist Maler, und zwar ein großartiger. Und ein erfolgreicher. „Also?“ – „Also!“
Das Wasserholen muß man als sakralen Akt betrachten. In seinem buntgesprenkelten, schwarzen Maleroverall kommt Ollie von der Wasserstelle. Er trägt das Pinselwasser wie ein Priester zur Staffelei. Setzt es vorsichtig auf einem gebrechlichen Teewagen ab. Tupft verspritze Tropfen auf. Wird plötzlich sehr sehr vergnügt: „Und ich sage: los jetzt!“
Eine Palette, fünf, sechs Binderfarben, zuerst kommt immer Schwarz. Dann stellt Ollie mir das Rot vor, er sagt Rrrrot. Rrrrot ist der Teppich, den er sich soeben für sein Zimmer ausgesucht hat. Dann Grün. Seine Lieblingsfarbe. Weiß ist die Leinwand, doch die Leere schreckt ihn nicht. Ollie weiß nämlich immer, was er malt: LONDON. Scotland Yard. Kommissar-Hüte. Oder auch Cowboyhüte.
Er ergreift den ganz dicken Pinsel. Ollie ist bekannt für seinen zupackenden, resoluten Gestus, das starke Zeichen. Doch zunächst holt er sich eine Fanta oder Cola light, „ich muß auf mein Gewicht aufpassen“, doch ja, er hat einen kleinen Bauch wie andere Männer auch, die auf die Dreißig zugehen.
„Los geht's!“ Wie alle Maler hat Ollie ein Problem damit, wenn ihm jemand bei der Arbeit zusieht. Ein kleines Problem. Jetzt keins mehr. Die erste schwarze Linie. Zielsicher in der riesigen weißen Landschaft plaziert, dann die zweite, im rechten Winkel dazu, ein Haus, eine Kiste? Dann Rrrot. Der Pinsel findet seinen Weg, das volle Format wird grob eingeteilt, da ist kein Zweifel, da stellt sich keine Frage, das läuft. Jawohl, es läuft! Von der Leinwand kommen kleine Juchzer. „Was malst du da?“ – „Scotland Yard.“
Aus eigener Anschauung kennt Ollie London nicht, geschweige denn Scotland Yard. Immerhin Dublin. Da war er mal irgendwann, „dieses Jahr?“, aber wer will das so genau wissen, mit einer Theatertruppe namens „Blaumeier“, Ollie als Kapitän in einem Stück namens „Jakobs Krönung“. „Haben einen Preis gekriegt.“ Punkt.
Mit London, Scotland Yard und Kommissarhüten kennt Ollie sich aus, weil er ein fanatischer Krimi-Fan ist (aber auch den Western nicht verschmäht). Nun kommt es vor, daß Ollie seine Bilder kurzerhand in „Italien“ umtauft. Wen stört das? In Italien war er studienhalber, da malte er Italien, das sah aber reichlich nach London aus, Scotland Yard. Keine Frage, Ollie hat seinen Stil gefunden, der früher, vor sechs Jahren, noch ziemlich das Schwarz bevorzugte, heute aber immer bunter wird. Seine kraftvolle Bildsprache läßt Kunstkenner den Namen A.R.Penck raunen.
Blau für den Himmel kommt hinzu, jetzt werden die reinen Farben gebrochen, Schicht kommt auf Schicht, was zunächst in expressivem Schwung auf der Leinwand aufleuchtete, beginnt ein Eigenleben, entwickelt sich, schlägt Wurzeln im Umfeld. „So rrrrot wird mein Zimmer.“
Ollie lebt in einer Wohngemeinschaft. Seine Mutter arbeitet in einem Spielsalon. Sein Vater ... da stockt Ollie und blickt mir lange in die Augen, sagt nichts. Dann legt er seine Hand aufs Herz und spricht von Martina. Das ist seine Schwester, sie spielt Theater. Wie er. Er kocht auch, im Cafe Blau. Am besten geht ihm Labskaus von der Hand.
Aber sein Beruf ist Maler. Im Blaumeier-Atelier arbeitet er jeden Tag. Andere kommen und gehen, stehen mal an dieser, mal an jener Staffelei, Ollie ist immer da, und immer genau da.
„Welche Farbe hättest du gerne?“ – „Orange.“ Das ist für Ollie ein Anlaß zu größter Heiterkeit. Aber er nimmt die Farbe, vielleicht aus Höflickeit. Später schau ich nicht hin, und er übermalt sie. „Was kosten deine Bilder?“ – „Tausend Mark.“ Er kontrolliert genau, welche Wirkung sein Preis auf mich hat. Und wiegelt ab: „Hundert. Vielleicht.“ Ollie ist einer von denen, die bei Gemeinschaftausstellungen des Blaumeier-Ateliers Kaufinteressenten anlocken. Er verkauft Bilder. Der Preis errechnet sich dann übrigens nach der Formel Anzahl der Quadratzentimeter durch zehn.
Gerade eben muß er mir noch von seinem Geburtstag erzählen. Reingefeiert. Ein großes Kaffeetrinken. Ein Walfisch aus Stoff als Geschenk, und ein Fernsehn mit Fernbedienung! Dann wendet er sich wieder seiner Stadtlandschaft zu. Als ich ihn verlasse, bin ich mir sicher, einem wirklichen Künstler begegnet zu sein. Burkhard Straßmann
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