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Der Waschmaschinenblues

„Materia Dance“, die neue und letzte Produktion von Jo Fabian im Theater unterm Dach. Wieder geht's im Gleichmarsch voran und diesmal sogar ohne rettende Entgleisung  ■ Von Michaela Schlagenwerth

„Guten Abend“ wird man per Monitor begrüßt. „Auf Wiedersehen“ flimmert es einem am Ende entgegen. Jo Fabian macht Ernst. „Goethe ist tot“ heißt es in seiner neuen Produktion „Materia Dance“, und das hat Konsequenzen. Was auch immer mit Goethe gemeint sein mag, es war auf alle Fälle eine bessere Zeit. Jetzt ist es verdammt ungemütlich. Jo Fabian hat eine kalte Bilderwelt inszeniert, bevölkert von vier gleichermaßen mit Hut, Pumps und Zopf versehenen Figuren.

Das war auch in den vorigen Fabian-Stücken nicht anders, auch dort bewegte man sich im Gleichmarsch durch eine monotone Welt – doch spätestens nach einer halben Stunde fielen die Darsteller aus der Rolle: Sie gaben ausufernde Kommentare zur Inszenierung ab, stritten sich mit der Stimme herum, die aus dem Off Regieanweisungen erteilte, oder lieferten sich gegenseitig heftige Konkurrenzkämpfe. Das war nicht nur humorvoll und nervtötend zugleich, sondern auch die letzte Hoffnung – der chaotische Einbruch, der die ferngesteuerten und automatisierten Individuen und damit die ganze schöne Ordnung zum Entgleisen brachte.

Damit ist jetzt Schluß: Wer „die Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Menschen“ auf der Bühne sehen will, „der soll zu Hause bleiben“, wird man schon im Programmheft verwarnt. Null Bock auf blöde Zuschauer (und schon gar nicht auf blöde Rezensenten). Der Regisseur, sonst als Stimme aus dem Off oder durch die Meutereien seiner Darsteller präsent, ist aus dem Stück verschwunden. Der Humor auch.

Was bleibt? Meeresgeräusche, Nebel, ganz offensichtlich eine Wasserwelt. „Rechts“ tönt es aus der rechten Box und „links“ aus der linken – oder umgekehrt, das ist nur eine Frage der Perspektive. Durch Stellwände bis auf kleine Spalten vor dem Zuschauerauge verborgen, gibt es hinter der Bühne einen zweiten Raum. Dort wandern drei nackte Geschöpfe herum, doch der Traum vom Meer der Frühe ist ausgeträumt: Auch sie sind schon geklont, bald mit Hut, Pumps und schließlich auch mit Kleidung versehen, wechseln sie zu uns herüber und tanzen den Waschmaschinenblues. Denn nicht nur drei Tänzerinnen und eine reglose Gestalt im Vordergrund, sondern auch drei mit Zebramuster designte Waschmaschinen gibt es auf der Bühne. Aus deren Innern leuchtet geheimnisvoll rotes Licht, während die Tänzerinnen ihre unzulänglichen Körper auf die Waschmaschinen hinauf und gleich wieder hinunter hüpfen zu lassen – bis sie, am Ende ihrer Kräfte angelangt, doch kapitulieren müssen. Der Mensch ist vielleicht keine Maschine, aber er gibt sich Mühe.

Die Störung des geordneten Ablaufes ist stumm geworden und in den Fernseher verlegt. Von der Decke herab flimmern uns per Video drei Tänzerinnen entgegen, virtuelle Gestalten, die im Unterschied zu ihren Pendants auf der Bühne keinen Moment schlapp machen und uns während des gesamten Verlaufs der Aufführung etwas vortanzen. Sie sind es, die zu guter Letzt aus der Rolle fallen: Als das Schriftbild „Auf Wiedersehen“ erscheint, hocken sie sich auf den Boden und weisen den Zuschauern, die partout nicht gehen wollen, die Tür.

Doch zuvor hat man mit ihren Körpern einiges angestellt: Mit rotem Licht waren diese erfüllt und schließlich von Fischen durchflutet. Gottfried Benns Traum vom Menschen, der „heute alt und angereichert alle Schicksale der menschlichen Geschichte“ bis zurück zum Primär in sich gespeichert hat, ist im Medienzeitalter auf merkwürdige Weise wahr geworden: Nur hat der Körper nichts gespeichert, sondern alles kann man in ihn hineinprojizieren.

Für die Gruppe example dept. und ihren Regisseur Jo Fabian bedeutet „Materia Dance“ den Abschied vom Theater unterm Dach: Auch wenn man dieses Theater vor allem mit der Arbeit Jo Fabians identifiziert – die Gruppe war dort nur zu Gast und kann wegen einer Kürzung ihrer finanziellen Mittel nicht bleiben. Kaum ist ein größeres Publikum durch die Einladung zum diesjährigen Theatertreffen auf example dept. aufmerksam geworden, geht dieser der Spielort verloren. Das ist Pech, und die im Hebbel Theater geplanten Aufführungen sind nur ein begrenzter Ausgleich.

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