■ Ein iranischer Rechtswissenschaftler äußert sich zur Problematik von Islam und Menschenrechten, der Politik des Westens und der Debatte im Lande selbst: "Das läßt mich völlig kalt"
Der Gesprächspartner ist ein bekannter iranischer Rechtswissenschaftler, dessen Name aus Sicherheitsgründen ungenannt bleiben muß. Er hat die Universität aufgrund von Differenzen mit der Leitung und aus Solidarität mit Studenten verlassen, die zwangsexmatrikuliert wurden, weil sie gegen eine Entscheidung aufbegehrt hatten. Der Gesprächspartner arbeitet heute als Anwalt und beschäftigt sich seit Jahren mit Menschenrechtsverstößen. Er ist nicht im Rahmen einer Organisation tätig, sondern kümmert sich vor allem um Einzelfälle.
taz: Was empfinden Sie, wenn Sie hören, daß in Teheran eine offizielle Menschenrechtskonferenz stattfindet?
Antwort: Aufgrund von 16 Jahren Erfahrung läßt mich jede Aktion, jede Konferenz, jede Maßnahme, jedes Festival, jede Institution, an der die iranische Regierung beteiligt ist, völlig kalt. Als ein Rechtswissenschaftler und Anwalt, der in Iran tätig ist, werde ich niemals Hoffnungen in eine derartige Konferenz setzen.
Wird in iranischen Gefängnissen Folter angewandt?
Jeder, der irgendwie mit dem Gefängnis zu tun gehabt hat, sei es als ein gewöhnlicher Häftling oder als politischer, berichtet, daß Folter angewandt wird.
Die Regierung bestreitet, daß es in Iran Folter gibt.
Ein Angeklagter wird zunächst von der Geheimpolizei oder, wenn kein Verdacht politischer Art vorliegt, von den gewöhnlichen Sicherheitsbehörden verhört. Naturgemäß dauert es eine Weile, bis der Fall vor Gericht verhandelt wird. Die Folterungen, von denen ich gehört habe, sind alle in der Zeit zwischen Verhaftung und Gerichtsverhandlung vorgefalllen. Ab dem Zeitpunkt, an dem ein Häftling an ein ordentliches Gericht überführt worden ist, wird offenbar keine Folter mehr angewendet, jedenfalls liegen mir keine Berichte vor.
Haben Sie Informationen darüber, wieviel politische Häftlinge es zur Zeit in Iran gibt?
Nein. Das weiß keiner. Offiziell gibt es keinen einzigen. Das Problem ist, daß sie [die Behörden, d.Red.] politische Vorwürfe in andere Vorwürfe umwandeln und ein gewöhnliches Verbrechen vorschieben. Der Häftling wird dann natürlich nicht mehr als politischer Gefangener registriert, und so gesehen gibt es tatsächlich keine politischen Gefangenen.
Was wissen Sie über die Zahl der Hinrichtungen?
Diejenigen, die offiziell zum Tode verurteilt werden, Drogenschmuggler zum Beispiel, wurden früher öffentlich hingerichtet. Heute ist das nicht mehr so, daher kann man die Hinrichtungen nicht mehr zählen. Wenn die Behörden Zahlen nennen, gibt es keinen Anlaß, sie zu glauben. Auch Zahlen, die im Ausland genannt werden, sind reine Spekulation.
Gibt es Gruppierungen oder Organisationen in Iran, die sich speziell für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen?
Ich habe von keinen derartigen Organisationen in Iran gehört. Es gibt natürlich Personen, die sich um einzelne Fälle kümmern oder (nicht zugelassene) Parteien wie die „Nehzat“ von Mehdi Bazarghan, die sich unter anderem für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Bis 1989 hat es eine Organisation für die Verteidigung der Menschenrechte gegeben. Einige von ihren Mitgliedern sind emigriert und im Ausland aktiv. Sicherlich haben sie noch Informanten und Helfer im Inland, aber das ist alles nicht offiziell.
Menschenrechte gelten nicht nur für Häftlinge. Welche Menschenrechtsverstöße in Iran sehen Sie außerhalb der Gefängnisse?
Das kommt darauf an, wie Sie die Menschenrechte definieren. Wenn Sie die international anerkannten Menschenrechte zum Maßstab nehmen, dann verstoßen einige unserer Gesetze dagegen. Auspeitschung zum Beispiel ist hier eine legitime Strafe. Amputierung von Hand und Fuß ebenso. Oder nehmen Sie zum Beispiel die Rechte der Frauen. Es gibt einige Rechte, die den Frauen vom Gesetz her verwehrt sind, zum Beispiel beim Erbrecht oder Beschränkungen im gesellschaftlichen Leben. Sie [die Behörden, d.Red.] sagen: Die Menschenrechte verstoßen gegen den Islam. Es gibt einen Widerspruch zwischen ihrer Auslegung des Islam und den internationalen Menschenrechten. Das wird auch so bleiben, und daran werden weder wir noch irgendeine Regierung der Islamischen Republik etwas ändern können. Sie können nicht die Auffassung vertreten, daß Mann und Frau in allem die gleichen Rechte haben oder daß Auspeitschung eine unmenschliche Strafe ist. – Oder noch grundsätzlicher: Die Staatsordnung der Islamischen Republik basiert auf der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (Welajat-e fagih, der von Khomeini etablierten Herrschaftstheorie der Islamischen Repbulik). Das heißt im Klartext: In allem hat der Geistige Führer das letzte Wort. Selbst die Wahl des Staatspräsidenten muß vom Geistigen Führer bestätigt werden. Dahinter steht – ausgesprochen oder nicht – der Gedanke, daß die Menschen sich in eine Angelegenheit einmischen, die eigentlich den Geistigen Führer betrifft. Es handelt sich also im Prinzip um eine Aufdringlichkeit der Menschen, daß sie den Präsidenten wählen möchten. Der Geistige Führer gewährt ihnen dieses Recht. Die Verfassung steht, allein weil sie auf der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ beruht, im essentiellen Widerspruch zu den Prinzipien von Freiheit und Demokratie. Keine der drei staatlichen Gewalten hat die Unabhängigkeit, die ihnen in einer Demokratie zukommt. Sie stehen alle unter der Aufsicht des Geistigen Führers.
Es waren die Iraner selbst, die sich 1979 für diese Verfassung entschieden haben.
Gut, aber die Iraner haben keinerlei reale Möglichkeit, nun diese Verfassung zu verändern, mit der sie 16 Jahre lang gelebt haben. Was im Augenblick in Iran diskutiert wird, sind Menschenrechtsverstöße, die auch durch unsere Verfassung nicht negiert werden – Meinungsfreiheit im Rahmen der Verfassung zum Beispiel oder die Demokratie, die unser Gesetz selbst vorsieht. Selbst diese Freiheiten haben wir nicht.
Wenn jetzt also Vereinigungen oder eben 134 Schriftsteller die Einhaltung der Menschenrechte fordern, dann haben sie nicht die Rechte der internationalen Menschenrechtskonvention im Sinne. Sie meinen diejenigen Menschenrechte, die vom iranischen Gesetz anerkannt werden. Die Rede der Schriftsteller ist folgende: Gebt uns das Recht, das Ihr selbst in Eurer Verfassung für uns vorgesehen habt. Wenn man ihnen das zugestehen würde, wären schon viele ihrer Probleme gelöst.
Unser Gesetz gestattet zum Beispiel, daß man sich zu Berufsverbänden zusammenschließt. Ein Berufsverband der Fleischer dürfte kaum auf Schwierigkeiten stoßen. Aber ein Berufsverband der Schriftsteller, wie er jetzt angestrebt wird, oder ein Anwaltsverband hat kaum Chancen, ordentlich zu arbeiten. Es könnte ja sein, daß die Anwälte oder die Schriftsteller etwas zu sagen haben – also verhindert man, daß sie zusammenkommen. Dagegen protestieren dann Anwälte oder Schriftsteller. Öffentlich Dinge zu fordern, die unsere Verfassung nicht vorsieht, traut sich niemand.
Wie weit geht die Meinungsfreiheit in Iran? Auf den Straßen, sogar in manchen Zeitschriften, ist die Kritik an den bestehenden Verhältnissen allgegenwärtig.
Die Staatsgewalt ist nicht sehr empfindlich, was die Klagen und die Kritik von Einzelpersonen betrifft, zum Beispiel über die wirtschaftliche Lage. Es ist richtig, daß dieser verbale Widerstand sich eines Tages in einen wirklichen Widerstand verwandeln wird, aber zur Zeit ist es das ganze Bemühen der Staatsgewalt, jede Vereinigung von Menschen zu unterbinden, sei sie politischer Art oder in der Art von Berufsverbänden.
Wie schätzen Sie es ein, wenn sich westliche Regierungen für Menschenrechte in Iran einsetzen?
Ich kann nicht sagen, daß alle Menschen, Organisationen oder Staaten, die sich für Menschenrechte in Iran einsetzen, eigennützige Absichten haben. Aber ich kann auch nicht das Gegenteil sagen. Wenn Regierungen, die Iran politisch und wirtschaftlich stützen, ab und zu ein paar Worte über Menschenrechte fallen lassen, dann kann ich nicht dankbar mit den Händen klatschen. Wenn sich aber beispielsweise Schriftsteller mit ihren iranischen Kollegen solidarisieren, dann freue ich mich.
Wofür setzen Sie sich persönlich derzeit besonders ein?
Als ein Rechtswissenschaftler bin ich daran interessiert, daß das Gesetz angewendet wird und in den Gerichten Gerechtigkeit geübt wird. Ich persönlich setze mich gegenwärtig bei den verschiedenen Stellen vor allem für die Einführung von Geschworenen im Gericht ein. Das ist etwas, was in der Verfassung für bestimmte Verfahren vorgesehen ist, aber keine Anwendung findet. Ich bin mir aber sicher, daß die bloße Anwesenheit von Geschworenen die Willkür und Parteilichkeit eines iranischen Gerichtes zumindest einschränken würde. Interview: Mahmoud Abbas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen