piwik no script img

Frische Kültür

Sexy Kanaken aus Düsseldorf: Fresh Familee retten den deutschen HipHop vor Totem, Tabu und falsch verstandener Correctness  ■ Von Johannes Waechter

„Die hacken auf allen anderen rum: Du mußt das so machen, du mußt das so machen, du mußt das so machen.“ Jörg, zum Plattenpapst investierter DJ der Fresh Familee, ärgert sich: „HipHop in Deutschland ist super verlogen. Irgendwie meinen immer welche, sie müßten das Zepter in die Hand nehmen und nichts mehr abgeben.“

Statt zusammenzuhalten zerfleischen sich die deutschen posses gegenseitig. Spätestens seit die Fantastischen Vier vorgeführt haben, daß mit Rap auch in Deutschland die Kasse zum Klingeln zu bringen ist, gönnt der Bochumer Rapper dem Wattenscheider keine Schnitte mehr und der Bielefelder dem Stuttgarter schon gar nicht. Und längst findet das Hickhack nicht nur in der Abgeschiedenheit der Szenen statt, sondern ist Teil der eigenen Veröffentlichungspolitik. Das Rödelheim Hartreim Projekt, der nach einem kurzen Höhenflug Anfang des Jahres umgehend zerplatzte Rap-Heißluftballon aus Frankfurt-Rödelheim, war sich zum Beispiel nicht zu blöde, Fresh Familee auf Platte zu dissen.

Den Grund für diese Streitlust könnte man in den Ursprüngen des Rap suchen, ist der Sprechgesang der Afroamerikaner doch eigentlich eine Form des verbalen Wettstreits, bei dem es darum geht, das Gegenüber und seine Mutter nach allen Regeln der Kunst zu beleidigen, sich selber hingegen mit flotten Reimen als tollsten Typen seit Jesus, Zulukönig Shaka und Muhammad Ali hinzustellen. Doch das spielerische Element, das diesem Wettstreit innewohnt, ist in der deutschen Szene nicht zu entdecken: Diese ist zu großen Teilen verknöchert, verspießert und polarisiert. Der Grund hierfür ist der Klammergriff der Old-School-Polizei mit Hauptquartier Heidelberg. Eine recht einflußreiche Bewegung um das dort beheimatete Trio Advanced Chemistry fährt seit einigen Jahren eine knallharte Linie, die festlegt, was wahrer HipHop ist und was nicht. Diese Linie ist zutiefst wertkonservativ. Nur wer heute noch die ein für allemal festgelegten Regeln der HipHop- Kultur beherzigt, wer also im Rahmen der 84er-Dreifaltigkeit Rap, Breakdance und Graffiti agiert (und diese drei Ausdrucksformen niemals gar nie nicht auseinanderdividiert oder neu gewichtet), darf sich nach Meinung von Advanced Chemistry der HipHop-Kultur zugehörig fühlen.

Kindisch irgendwie. Und natürlich künstlerisch lähmend: Das sanfte Ruhekissen eines vorgefertigten Weltbilds hat schon immer eher zum Dösen eingeladen, als daß es kreative Energien freigesetzt hätte. Entwicklung ist nun einmal das Resultat immer weiterer Vermischungen, die sich der Festlegung durch Kanon und Code entziehen. Nur klug also, daß Fresh Familee die amtliche deutsche HipHop-Szene links liegenlassen. Spätestens seit der Veröffentlichung ihres neuen Albums „Alles Frisch“ perlen die Anwürfe der Alte-Schule-Fraktion von ihnen ab, ohne Spuren zu hinterlassen: Die offensichtliche Qualität ihrer Arbeit macht sie unangreifbar. „Alles Frisch“ ist die Platte, die HipHop in Deutschland zu einer neuen Leichtigkeit im Umgang mit einer gar nicht so leichten Wirklichkeit verschafft. Auch das Puristenlager wird sich in Zukunft daran messen müssen.

Neben dem Plattenpapst bestehen Fresh Familee aus den drei Rappern Tachi, Suli und Higgi, alle Anfang 20. Die Ursprünge ihrer Crew liegen im Düsseldorfer Betonsilo-Revier Ratingen-West. „Wir haben uns 1988 im Jugendzentrum West kennengelernt“, erzählt Suli, der eigentlich Suliman heißt. „Da gab es einen Mitarbeiter, der uns eine drum machine zur Verfügung gestellt hat. Wir haben dann einfach angefangen, zum Beat zu rappen.“ 1990 gewannen Fresh Familee einen musikalischen Nachwuchswettbewerb in Düsseldorf und durften deshalb die EP „Coming From Ratinga“ veröffentlichen; 1993 legten sie mit „Falsche Politik“ ihr erstes volles Album vor. Erst jetzt jedoch gelang ihnen – nicht gerade unvermutet, aber doch überraschend – der große Wurf: Auf „Alles Frisch“ schmieden sie, vor allem aufgrund der offensiven Art, mit der sie ihre ethnischen Hintergründe in den Kessel werfen, einen ganz neuen multikulturellen Groove.

Tachi ist Türke, Suli Makedonier und Higgi Marokkaner. Alle sind in Deutschland aufgewachsen und sprechen akzentfrei deutsch, rappen jedoch auch in ihren Heimatsprachen. Und diese Multilingualität ist ihre Stärke: Sie führt keineswegs nur zu ein paar Tracks, deren fremde lyrics man nicht versteht, sondern mündet in eine geschärfte Sensibilität für die Art, wie Sprache Bedeutung herstellt und Identitäten festigt.

Fresh Familee wissen genau, daß öffentliches Sprechen ein politischer Akt ist. Indem sie die deutsche Zunge mit ihren Muttersprachen verflechten, deutsche Worte „ausländisch“ verfremden und deutsche Schimpfworte humorvoll rekontextualisieren, bringen sie mehr Inhalt rüber, als in Songform gefaßte Parolen es könnten – und lösen nebenbei auf besonders souveräne Art das Versprechen ein, das Rap als Musik, die eigentlich word ist, von Anfang an gab.

Ihr Geniestreich ist die Aneignung jener gebrochenen Art, deutsch zu sprechen, die in ihrer klischierten Form schon zu unzähligen rassistischen Beschimpfungen verwendet wurde – „Du dir erst mal Tüte Deutsch kaufen“ und so. Tachi setzt dieses Idiom auf „Ahmet Gündüz“ ein, einem Song, der auf „Falsche Politik“ begonnen und auf „Alles Frisch“ fortgesetzt wird. Der türkische Familienvater Ahmet, der seit 15 Jahren hier lebt, erzählt aus seinem Leben in der fremden „Kültür“. „Kinder gehn in Schule, in Türkei sind geboren / Sprechen sehr viel sehr gut deutsch, und Türkisch gehn verloren! / Sohn sprechen türkisch mit die deutsche Akzent / Enkel später glauben, wenn nix kennt / Opa Ahmet kommt von ganz andere Kontinent!“ Im mit melancholischen Zülfü-Livanelli- Samples unterlegten Refrain bringt Tachi das Dilemma auf den Punkt: „Deutschland hat viel Freiheit und zwei Grundgesetz / Ein geschrieben in Buch und ein geschrieben in Herz / Geschrieben Buch sagt: ,Alle Menschen hier gleich!‘ / Geschrieben in Herz sagt: ,Das ist nix so leicht!‘“ Und dann, das broken Deutsch abstreifend, weiter auf türkisch...

Komplett auf türkisch der Track „Tabiat“, den Fresh Familee übereinstimmend als ihren Lieblingstrack bezeichnen. Mit baßlastigem Groove, Urwaldsamples und einem supercool hingebogenen Rap – die türkische Sprache wehrt sich gegen die Rapform, muß letztlich aber doch kapitulieren –, erscheint er in der Tat als Fundstück aus einem unbekannten HipHop-Universum. Sehr diesseitig hingegen „Sexy Kanake“, der Song mit dem Huch-Effekt: Kanake sagen – dürfen die das? Sie dürfen, und zwar weniger deswegen, weil ihnen das Wort schon oft genug entgegengeworfen wurde und sie es, dem HipHop-Gebrauch von „Nigger“ nacheifernd, in die Umgangssprache aufnehmen wollten, sondern weil sie es durch Aneignung als Schimpfwort effektiv unbrauchbar machen. „Attacke, hier kommt der sexy Kanake, und ich knacke jede Frauenbaracke“ – effektiv, wie gesagt.

Bratmakrelenfilets, Schinkenspeck und Schweinskopfsülze lächeln uns vom Cover der Fresh-Familee-CD entgegen, vakuumverpackt und deshalb garantiert unfrisch – ein Stück ironische Spiegelung einer Großstadtwelt, der mit dem Rückzug auf festgelegte „Identitäten“ nicht beizukommen ist. Da ist immer schon Tchibo vor. Mit „Alles Frisch“ aber haben Fresh Familee dem deutschen HipHop eine Marke vorgelegt, die erstmal überboten werden muß. Massenappeal ohne Ausverkauf, Politik ohne Parolen, Groove ohne Krämpfe im Zeigefinger – was ist das Geheimnis? Nach eigener Aussage sind Fresh Familee weise. Weise wie Papa Schlumpf.

Fresh Familee: „Alles Frisch“. Phonogramm.

Die Tour mit Warren G., die in der kommenden Woche beginnen sollte, fällt aus: Der Altmeister ist erkrankt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen