: Angela Merkel sichert die Reaktoren
Kohls Kabinettsreform schrumpft zu Postenschieberei zusammen / Abtreibungsgegnerin wird Familienministerin / Klaus Töpfer soll Umzug nach Berlin leiten ■ Aus Bonn Erwin Single
Sein Motto zum Weiterregieren hat Helmut Kohl bei Kurt Georg Kiesinger entliehen. „Keine Experimente“, lautete dessen Devise. Wer vom fünften Kabinett Kohl Neues oder gar eine deutliche Reform erwartet hatte, muß enttäuscht sein. Die Koalition setzt auf Bewährtes, bei den Personen ebenso wie in der Sache.
Er habe, gab der Kanzler gestern bei der Vorlage der Kabinettliste bekannt, Klaus Töpfer mit dem Bau-Ressort betraut, weil dieser als Umweltminister „Gewaltiges geleistet habe“. Da sei der gerade der Richtige, um den kniffligen Umzug der Regierung nach Berlin einzufädeln. Wenig Zeit, knappe Finanzen und ein Bonner Beamtenheer mit Sitzfleisch machen aus dem eher randständigen obersten Bauamt plötzlich eine Schaltzentrale von Bedeutung.
In der Tat dürfte der in Personalfragen meist geschickt agierenden Kanzler (Ausnahme: Steffen Heitmann) keine schlechte Wahl getroffen haben. Töpfer, der als einer der fähigsten wirtschaftspolitischen Köpfe in der Union gilt, scheint seines alten Ressorts seit längerem überdrüssig.
Was dem Kanzler bei der Umsetzung Töpfers noch gelingt, fällt ihm bei dessen Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) schon merklich schwerer. Viele Umweltpolitiker kritisieren die Neue. Für den SPD-Umweltexperten Michael Müller etwa ist Merkels Berufung eine „schreckliche Fehlbesetzung“, für den BUND-Vorsitzenden Hubert Weinzierl ist sie nicht mehr als eine „Erfüllungsgehilfin des Kanzlers“. Die Kritik kommt nicht unverhofft, denn für ihren neuen Posten hat sich Angela Merkel weder qualifiziert noch profiliert. Für die CDU-Vizin spricht lediglich die Tatsache, daß ihr nicht nur Helmut Kohl mehr zutraut als die Führung des kleinen Frauenministeriums. Eine Härtetest für die, die auch eine der wichtigsten CDU-Stützen in der Nach- Kohl-Ära bleiben soll.
Den hat ein anderer Aufsteiger bereits hinter sich. Mit der Nominierung von Jürgen Rüttgers für das neugebildete „Zukunftsministerium“ für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technolgie scheint dem Kanzler zumindest eine Art Glücksgriff gelungen zu sein. Der 43jährige Jurist, der zu Helmut Kohls „Viererbande“ (Die Zeit) wie auch zu den Vertrauten von Fraktionschef Wolfgang Schäuble zählt, gilt als erfahrener Politmanager. Er soll vor allem jene Impulse fördern, mit denen die BRD wieder Anschluß an die internationale technologische Entwicklung erlangt. Daß von Rüttgers hier einiges zu erwarten ist, zeigt ein Blick in seine Vita: Er leitete nicht nur die Enquetekommission „Technologiefolgenabschätzung“ mit „Format“, wie das Muntzinger-Archiv lobt, sondern hat sich in der Union auch als Berichterstatter in Fragen der Luft- und Raumfahrt Ansehen erworben. Der Kanzler kennt darüber hinaus ein weiteres Plus, das der bisherige parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU- Fraktion mitbringt. Wo es, wie in der Bildungspolitik, immer wieder zu föderalen Kompetenzstreitigkeiten kommt, ist einer wie Rüttgers für die knappe Unionsmehrheit Gold wert – einer, der „alle Schlichen des parlamentarischen Alltags mitgeprägt hat“ (Kohl).
Eine Entscheidung will – zumindest oberflächlich – gar nicht ins konservierende Konzept passen: die Berufung der erst 28jährigen Claudia Nolte als Familienministerin. Aber während Kohl ihre Berufung vor allem mit ihrem Lebensweg begründete, fürchten viele Frauen, daß mit der strikten Abtreibungsgegnerin katholischer Erzkonservativismus zur Geltung kommt. Auf ihre Haltung zum Paragraphen 218 angesprochen, gab sich die CDU-Youngsterin sibyllinisch: Sie wolle „Müttern und jungen Familien das Ja zum Kind erleichtern“.
Kommentar Seite 10
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