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Die Niederlage des Herrn Kohl

Primitiv oder Alternativkunst? Am Samstag wurde im Pfefferberg der Arsch '94 gewählt, und über 30 ließen die Hosen runter / Hauptgewinn: Fotosession auf der Pfauen- oder einer Verkehrsinsel  ■ Von Barbara Bollwahn

Helmut Kohl hat die Wahl verloren. Nein, die zum Bundeskanzler nicht, damit müssen wir erst mal leben. Aber bei der Wahl am Samstag hatte er null Chancen. Als sein Kopf durch die Klobrille auf der Bühne lugte, hätte ihm manch einer im Publikum am liebsten den Deckel auf die Nase geknallt. Das Volk, das sich im überfüllten Saal drängelte, war aber nicht etwa wahlmüde. Es wollte eben nur mal einen anderen Arsch sehen.

Der Pfefferberg in der Schönhauser Allee hatte zur Wahl des Arsches '94 gerufen, und über dreißig Kandidaten ließen die Hosen runter. Anonymität war zugesichert. Nur Jola von Krakauer, im richtigen Leben ein Friseur namens Andreas, wollte genau diese verlassen. Jeder Kamera, die sich ihm näherte, hielt er seinen Allerwertesten entgegen. Nur notdürftig verbargen ein String-Tanga und eine Lochstrumpfhose, die ihrem Namen alle Ehre machte, seine üppige Pohaarpracht. Sein Outfit („war echt billig“) mit hochhackigen Silberstiefeln, schlabberndem Büstenhalter, undefinierbarer Secondhand-Ware und sein Pendeln zwischen dem Herren- und Damenklo reichten schon aus für den Sprung ins Fernsehen. Ob öffentlich-rechtlich oder privat, zwölf Kamerateams ging es gar nicht am A... vorbei, was da durch zwei Klobrillen gesteckt wurde.

Die Idee dazu war auf dem Mist des Sängers der Band „BVG und die Schwarzfahrer“, Bernwart Bühke, gewachsen. Diese spielten neben den „Prollheads“ und den „Experten“ vor, zwischen und nach diversen Pofalten. Obwohl Bühke der taz anvertraute, daß er die zeitgleich stattfindende Wahl des Gesichtes '94 in der Staatsoper boykottieren wolle, drängte sich der Verdacht auf, er wolle mit seiner Band nur ins Fernsehen. Gib's doch zu, Berni. War gar nicht unclever. Wie hast Du doch selber gesagt: „Wegen einer Band alleine kommt doch keiner mehr.“

Auch die Moderatoren hätte bei dem nassen Herbstwetter wohl kaum eine Pobacke hinterm warmen Ofen hervorgelockt. Aber was für die Teilnehmer galt, soll auch für die blonde Fritz-Moderatorin und den Schauspieler aus der Serie „Gute Zeiten, schlechte Seiten“ gelten. Mit Rücksicht auf ihre weitere Karriere nennen wir ihre Namen nicht. Die der Jury schon eher. BeppoPohlmann von „Blattschuß“, bekannt durch seine Hymne „Kreuzberger Nächte sind lang“, gehörte mit seinem Kompagnon zu dem achtköpfigen Gremium, das darüber zu entscheiden hatte, welcher Arsch bei der Fotosession auf einer exotischen Insel in die Kameras lächeln darf. Im Gespräch waren die Pfauen- oder irgendeine Verkehrsinsel. Beppo konnte zwar nicht verstehen, „warum sich die Leute den Scheiß hier reinziehen“. Aber er fühlte sich seinen Erfahrungen im Umgang mit „Ärschen im Showgeschäft“ verpflichtet und begab sich bereitwillig in die Niederungen der „Arschäologie“.

Der Sänger von „Extrabreit“ war irgendwann so breit vom Ärsche- Beurteilen und der Nummern aufsagenden Moderatorin, daß er einen deftigen Blondinenwitz zum besten gab: Spielen zwei Blondinen Mau- Mau. Fragt die eine: Hast du die Regeln im Kopf? Fragt die andere: Wieso, blute ich aus dem Mund? An dieser Stelle des Abends waren die Hosen eh schon so weit runtergelassen, daß dem (ebenfalls blonden) Sänger kaum noch einer zuzuhören schien.

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