: Die Freiheit diesseits der Utopie
■ Bremer Hannah Arendt-Preis ins Leben gerufen/ Am Wochenende die ersten Vorträge vor der Bremer Tagung/ „Sie ist allen anderen Interpretationsversuchen haushoch überlegen.“
Eine kühne Idee: Mitten in einer Zeit, in der das Politische nicht gerade Hochkonjunktur hat, einen Preis für politisches Denken zu gründen. Doch genau die grassierende Verdrossenheit in einer Periode des Umbruches ist es, die die Bremer Hochschullehrerin Antonia Grunenberg und den Uni-Dozenten für politische Theorie Zoltan Szankay motiviert haben, einen Hannah Arendt Preis für politisches Denken zu pflanzen. Die Hoffnung: Ermutigung für politische DenkerInnen, die Wirklichkeit jenseits der eingefahrenen Muster zu begreifen. Nun sind die beiden Bremer WissenschaftlerInnen dabei, einen Trägerkreis für das Preisgeld zusammenzubekommen. Im nächsten Jahr sollen in Bremen zum erstenmal ein Haupt- und ein Förderpreis verliehen werden, am kommenden Wochenende richtet der Förderverein seine erste Tagung aus: Einschnitte – Hannah Arendts politisches Denken heute. Fünf Jahre nach dem großen europäischen Umbruch ist auch die deutsche Gesellschaft wieder dabei, sich fast reflexartig nach alten politischen Begriffen und rechts-links-Schemata zu sortieren. „Begriffe, die allesamt nicht mehr greifen“, sagt Antonia Grunenberg. „Wir haben die Chance auf einen politischen Neuanfang. Man kann diese Chance aber auch verspielen.Die Deutschen sind dabei, das zu tun.“
Vom Bremer Bildungssenator Henning Scherf bis zum Hüter der Stasi-Akten Jochen Gauck, vom taz-Autoren Christian Semler bis zum grünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit – ein illustrer Förderkreis hat sich um die Bremer InitiatorInnen geschart, dabei hat die Suche nach UnterstützerInnen gerade erst begonnen. „Das lag in der Luft, das war der Satz, den wir am meisten zu hören bekommen haben“, erzählt Antonia Grunenberg. Es lag in der Luft – die Unzufriedenheit mit der politischen Selbstverständigung sei mit Händen zu greifen. Noch einmal habe bei der Bundestagswahl das alte links-rechts-Schema gegriffen, noch einmal habe die CDU gegen eine dräuende „Linksfront“ zu Felde ziehen können, noch einmal habe es der PDS gelingen können, das populistische Potential Ost hinter einem gefühligen Links-Begriff zu sammeln. Doch das, so sagen die beiden Bremer WissenschaftlerInnen, seien nur noch Zitate aus einer untergegangenen Zeit gewesen. Grunenberg: „Plötzlich taucht bei der PDS die alte Volksfrontidee wieder auf, und plötzlich wird das Verhältnis zwischen Ost und West mit alten Klassenkampfbegriffen belegt.“ Die paßten längst nicht mehr, zumal 40 Prozent der PDS-WählerInnen mittlerweile gut verdienten. „Die Inhalte hinter den Begriffen lösen sich auf. Das Bedürfnis nach einer Neuorientierung jenseits der alten Muster ist groß.“
Den tiefen historischen Einschnitt im Jahr 1989 habe das politische Denken noch längst nicht verarbeitet. Und da setzt das Interesse an der Philosophin Hannah Arendt ein. Für Linke war der Name über lange Jahre ein rotes Tuch. Hannah Arendt stand vor allem für die Totalitarismustheorie, und die hatte unter den Linken keine Kojunkturi. Eine Kalte-Krieger-Theorie, basta. Von totalitären System sprach die CDU, und damit war das Arendtsche Denken in der linken Folklore gebrandmarkt. Diese Stigmatisierung wirkt bis heute, erst langsam löst sie sich auf. In ihrer Bearbeitung der nationalsozialistischen und der stalinistischen Zivilisationskatastrophen verließ Hannah Arendt die eingefahrenen soziologistischen Denkmuster und betonte gerade die neue Qualität dieser historischen Einschnitte. Man könne nach Auschwitz und dem Gulag nicht mehr zu den alten Denkmustern und „Projekten“ zurückkehren, rationalistische Erklärungen seien in die Leere gelaufen. Arendt sprach den Ereignissen eine historische Notwendigkeit rundweg ab. Die Geschichte sei keiner inneren Logik gefolgt. „Da ist sie allen anderen Interpretationsversuchen haushoch überlegen, sagt Zoltan Szankay. „Denn genau so einen epochalen Einschnitt haben wir 1989 auch erlebt.“
„Es geht jetzt darum, die Freiheit diesseits der Utopie zu verteidigen“, sagt Antonia Grunenberg. Das stehe im Zentrum des Arendtschen Denkens: Die Freiheit als Schlüssel der Demokratischen Frage, das Beste der republikanischen Tradition. Genau die fehle sowohl der politischen Rechten wie der Linken. „Freiheit ist für die Linke nie ein Wert an sich“, sagt Antonia Grunenberg. „Was ist an der westlichen Gesellschaft verteidigenswert“, die Frage sei zu klären. Der Begriff der Freiheit sei fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus aus dem öffentlichen Blickfeld fast schon wieder verschwunden: Daß da Diktaturen untergegangen sind, das spiele im Bewußtsein der Mehrheit keine Rolle mehr. Welche politischen Optionen aus dieser freiheitsbezogenen Denkungsart erwachsen können, das sei das Ziel der Diskussion, die durch die Bremer Initiative angestoßen werden soll. Daß dafür auch Impulse aus der Sphäre der politisch Handelnden kommen könnten, das scheint nicht allzu wahrscheinlich. Grunenberg: „Da wird nur noch verwaltet.“
Jochen Grabler
Im Vorfeld der Hannah Arendt-Tagung gibt es zwei öffentliche Vorträge. Am Donnerstag um acht spricht die ungarische Philosophin Agnes Heller über die völkische Gefahr: „Hannah Arendt und die Bedrohung des Politischen durch ,Biopolitik'“, und am Freitag um acht spricht der Göttinger Politologe Claus Leggewie über „Hannah Arendt und das Problem des politischen Neuanfangs“. Beide Vorträge im Domkapitalsaal, Domsheide.
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