: „Das Leben von Seeleuten ist billig“
Vor Beginn der Touristensaison in Südafrika wurden die Strände von Ölschlamm gesäubert / Zwei Drittel des Weltverbrauchs an Rohöl werden um das Kap geschippert / Zahlreiche Unfälle ■ Aus Kapstadt Willi Germund
Kapitän Dave Hall bringt seinen Hafenschlepper „Lourens Muller“ längsseits und ein Mitglied seiner Mannschaft wirft die Leinen an Bord des liberianischen Frachters „Lucky Star“. Das Wetter ist ruhig, es wird einfach sein, das 20.000 Bruttoregistertonnen große Schiff in den Hafen von Kapstadt zu bugsieren. Aber Hall läßt den Blick über den 203 Meter langen Frachter gleiten und schüttelt den Kopf. Der schwarze Rumpf ist über und über mit Rost bezogen, an den Kabeltrommeln, mit denen die Leinen eingeholt werden, fehlen wichtige Teile. Die knallrote Farbe der Gangway vom Bug zum Heck stammt ebenfalls vom Rost. „Mit dem Kasten würde ich freiwillig nicht in See stechen“, sagt der in England geborene Skipper des Hafenschleppers.
Sieben Unfälle gab es vor Südafrikas Küsten im letzten halben Jahr. Im südafrikanischen Winter ist das Wetter auf dem Südatlantik und dem Indischen Ozean besonders tückisch. Kurz vor der Touristenzeit, die jetzt beginnt, waren Hunderte von Stadtarbeitern Tag für Tag damit beschäftigt, Kapstadts weltberühmte Strände von ölverschlammtem Sand und ölverdreckten Pflanzen zu säubern, den Überresten der letzten Katastrophe. Im Juni zerbrach 50 Kilometer weiter nördlich der mit Stahl beladene Frachter „Apollo Star“ in drei Teile und sank innerhalb von Minuten in schwerem Wetter. 36 Besatzungsmitglieder ertranken, das auslaufende Dieselöl verdreckte zwei Inseln mit geschützten Pinguinen und die Strände von Kapstadt.
Es dürfte wohl eher ein glücklicher Zufall sein, daß bisher nicht mehr passiert ist. Zwei Drittel des Weltverbrauchs an Rohöl werden aus den Ländern des Nahen Ostens um das Kap der Guten Hoffnung nach Europa und in die USA geschippert. Kapstadts Hafenkapitän John Woodmed schätzt, daß nur etwa ein Drittel aller Schiffe den Hafen anlaufen – rund 3.300 im Jahr. Das würde bedeuten, daß 10.000 jährlich das Kap umrunden. Und Durban am Indischen Ozean ist der siebtgrößte Hafen der Welt.
Aber unter den Frachtern, die Kapstadt anlaufen, befinden sich immer mehr Schiffe, die kaum noch seetüchtig sind und im Jargon unter dem treffenden Namen „Seelenverkäufer“ firmieren. „Schiffe, bei denen der Rumpf gerissen ist oder bei denen die Halterungen von Rettungsbooten festgerostet sind, stellen keine Ausnahme dar“, erklärt Kapitän Bill Dernier von Südafrikas Transportministerium. Meist handelt es sich um Schiffe unter Billigflaggen. Aber auch die Qualifikation der Mannschaften läßt nach.
Dernier: „Manche Besatzungen wissen nicht, wie Rettungsboote ins Wasser gelassen oder wie Feuerlöschanlagen bedient werden.“ Hafenschlepperkapitän Hall hat ein gutes Auge dafür entwickelt, bei welchen Frachtern er besonders aufpassen muß: „Wenn die Mannschaft so etwas wie Overalls oder Uniformen besitzt, ist das schon ein positives Zeichen.“
Die Männer auf der „Lucky Star“ laufen in weiten Shorts herum. Ihre Arbeitsschuhe sind zerrissen. Behutsam drückt Hall seinen Schlepper gegen den Bug des Frachters, während das Schiff ins Hafenbecken manövriert. „Wir wissen nie, ob der Steuermann auf der Brücke auch tatsächlich die Anweisungen des Piloten versteht“, brummt Hall, während er eine Tasse heißen Kaffee schlürft.
Denn manchmal fehlt nicht nur der Mannschaft, sondern selbst dem Kapitän jede Erfahrung. Der 33jährige Skipper des iranischen Supertankers „Tochal“ etwa alarmierte Ende Mai den Rettungsschlepper der Reederei „Pentow- Marine“ in Kapstadt: ein Tank seines vollbeladenen Schiffes lecke. Als die herbeigerufenen Retter den Tanker erreichten, trauten sie ihren Augen nicht. Der Bug des Schiffes war zusammengedrückt wie eine Papiertüte. Besser noch: Dem Kapitän fiel vor Staunen die Kinnlade herunter, als der Bergungsschlepper ihm den Schaden mitteilte – er hatte es nicht bemerkt. Der Unfall ereignete sich wahrscheinlich, als der Tanker gegen eine sogenannte „Freakwelle“ prallte – aber auch das war dem Kapitän nicht aufgefallen.
Afrikas Festlandsockel steigt erst kurz vor der südafrikanischen Küste aus einer Tiefe von bis zu 3.000 Metern auf. Starker Wind, die unendliche Weite des Südatlantiks und des Indischen Ozeans machen Wellen bis zu 25 Meter Höhe zur Regel. „Wenn ein Tanker-Kapitän wie bei der ,Tochal‘ dann die Geschwindigkeit nicht rechtzeitig verringert, sind Unfälle vorprogrammiert“, sagt Hall. Denn gerade ein Supertanker pflügt auch bei schlechtem Wetter durch das Meer, ohne daß auf der Brücke etwas vom Seegang zu spüren ist. „Etwas muß dann nachgeben“, sagt ein Schiffahrtsexperte in Kapstadt, „Wasser tut es nicht.“
Die „Tochal“ sank nur deshalb nicht, weil die mit Öl vollbeladenen Tanks das Schiff über Wasser hielten. Jetzt liegt der Tanker mit einem hausgroß klaffenden Loch am Bug im Hafen von Kapstadt – ein braun-rotes Mahnmal für andere Kapitäne, die das „Kap der Guten Hoffnung“ umrunden. Der Tanker wird notdürftig repariert, bis er in einen anderen Hafen geschleppt werden kann. Kapstadt besitzt kein Trockendock, das groß genug für die „Tochal“ ist. Es hatte bereits mehrere Wochen gedauert, ehe die Ölfracht auf hoher See in einen anderen Tanker gepumpt werden konnte und das Schiff sicher in den Hafen gebracht wurde.
Südafrikas Küsten sind voller Wracks. Wenige Kilometer südlich von Kapstadt knallte kürzlich bei schwerer See und schlechtem Wetter ein Schwimmbagger auf die Felsen – selbst Monate später ist noch unklar, ob das Gerät im Wert von mehreren Millionen Dollar wieder flottgemacht werden kann. Hall, der Skipper des Hafenschleppers „Lourens Muller“, zuckt mit den Achseln: „Das kommt davon, wenn Schlepper von Billigfirmen benutzt werden.“ Die Eigentümer des Baggers hatten die Dienste einer russischen Firma in Anspruch genommen – die war zwar weitaus billiger, kannte aber die Verhältnisse auf See nicht. Der Bagger riß sich los.
Die Ursache der zwei jüngsten Unfälle dagegen: schlafende Besatzungsmitglieder. Im August liefen gleich zwei Fischtrawler in voller Fahrt vor der südafrikanischen Küste auf Grund. Erst der Ruck, der die Schiffe erschütterte, dürfte die Männer am Ruder geweckt haben.
„Viele Reeder sparen, wo es nur geht“, erklärte Kapstadts Hafenkapitän John Woodmed, „und als erstes wird bei der Mannschaft und bei der Wartung angefangen.“ Der Passagierdampfer „Oceanos“, der vor zwei Jahren bei Durban unterging, war ein typisches Beispiel. Die Mannschaft, die sich absetzte, als die Passagiere noch an Bord waren, hatte vergessen, eine Dichtung auszuwechseln. Drei Tage dauerte der Todeskampf des griechischen Vergnügungsdampfers.
Kapitän Dernier vom Transportministerium: „Das Leben von Seeleuten ist billig.“ Handelsschiffe dürfen normalerweise nur in See stechen, wenn sie ein Versicherungszertifikat über die Seetüchtigkeit besitzen. Die werden der Einfachheit halber manchmal gefälscht. Sonst gibt es eine technische Überwachung nur, wenn die Dampfer im Hafen liegen oder Territorialgewässer bestimmter Staaten durchkreuzen.
Die Kapitänsvereinigung von Südafrika forderte jüngst anläßlich ihres 50. Jahrestages, die Inspektionen von Schiffen zu intensivieren: „Die Zahl der überprüften Schiffe sollte auf den internationalen Standard von 25 Prozent gesteigert werden.“ Bisher besuchen Inspekteure des Transportministeriums nur fünf Prozent aller Frachter, die Südafrikas Häfen anlaufen – und kein einziges der Schiffe, die ohne Zwischenstopp durch die Territorialgewässer schippern. Dernier sieht nur eine Chance, die Gefahr für Südafrikas Küsten zu verringern: „Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, die die Eigner von seeuntüchtigen Schiffen davon abhält, ihre Frachter südafrikanische Häfen anlaufen zu lassen.“
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