: Fremde, unbekannteWesen
■ Fotos auf Kampnagel: Menschenbilder in Hamburg
Wenn Fotografen unbekannte Wesen aus fremden Galaxien über die Entfernung von Aberbillionen Zeitjahren aufnehmen, kann es nicht anders aussehen. Geisterhaft blicken sie uns entgegen, und nur wer genau hinguckt (und es vielleicht schon nachgelesen hat), erkennt sie: Es handelt sich nicht um Marsmenschen, sondern um Hamburger Prominente wie Ulrich Wickert, Maria Jepsen oder Domenica. Diese technisch verfremdeten Schwarzweißfotografien von Philip Radowitz sind Teil der Ausstellung Menschenbiler in Hamburg, die zur Zeit auf dem Kamnagelgelände zu sehen ist.
Von schrill-bunt bis klassisch-schwarzweiß reicht die Palette der Fotoarbeiten, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch durch die künstlerische Gestaltung unterscheiden. Christian Popkes etwa hat mit technischen Kniffs die verzerrten Gesichter auf seinen quietschbunten Bildern bearbeitet. Nun sehen die Werber in Hamburg aus, als priesen sie ihre Ware direkt über einen Fernsehbildschirm an – als moderne Marktschreier sozusagen. Doch nicht nur Fotografiertes ist zu sehen. Eine Verbindung zwischen Fotokunst und Malerei stellt Christoph Engel mit seinen überarbeiteten Selbstportraits her. Mal bunt, mal dezent sind die Fotos bis zur Unkenntlichkeit übermalt.
„Diese künstlerische Art der Fotografie kommt im Arbeitsleben der Fotografen viel zu kurz“, so Professor F.C. Gundlach, Gründer von PPS und Sprecher des Arbeitskreises Photographie Hamburg. Um diesem entgegenzuwirken, hat der Arbeitskreis im Frühjahr junge Hamburger Fotografen zu dem von der Kulturbehörde unterstützten Projekt aufgerufen. Porträtiert wurden nicht nur Prominente, sondern auch Obdachlose, brave Bürger, schräge Vögel und sogar ganze Stadteile.
Die Fotoreihe Schanzenviertel von Ille Oelhaf gibt einen dokumentarischen Einblick in das Sommerleben der Schanze. Hot pants in Nahaufnahme, ein Blick in eine mit Kind und Lebensmitteln vollgepackte Sportkarre und zwei kleine Mädchen unter der Warenauslage eines türkischen Gemüsehändlers. Vor Sonne und Alltagshektik geschützt, tauschen sie Träume und Geschichten aus. Um sie herum Beine von einkaufenden Menschen, teilweise nur verwischt zu erkennen, da die Bewegungen zu schnell waren für den fotografischen Augenblick.
Eine ganz andere Stimmung dagegen vermitteln das Poträt einer einhundertjährigen Frau. Ruhe und eine gedämpfte Atmosphäre füllen die Fotos von Ines Krüger. Zerbrechlich sieht die alte Frau aus, die in ihren Kissen fast verschwindet. Der weiße Hintergrund verstärkt diesen Eindruck, und so erinnern die Bilder an Das kranke Kind des Malers Edvard Munch.
Jeder der 20 Fotografen hat ein ganz individuelles Werk geschaffen. Wenn man jedoch die Fotos in ihrer Gesamtheit wirken läßt, ergeben sie ein geschlossenes Bild dieser Stadt. Nach ihrer Station auf Kampnagel wird die Ausstellung das Bild Hamburgs in dessen Partnerstädte tragen.
Martje Schulz
Kampnagel, K3, bis zum 8. 1.
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