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Unorte: die Wanderplüschausstellung Von Claudia Kohlhase

Eine klitzekleine alte Dame und ihre klitzekleine Enkelin fahren seit 17 Tagen regelmäßig Rolltreppe bei Karstadt. Sie sind so klein, daß man fast über sie stolpert. Aber vielleicht liegt das auch an dem kleinen grauen Hut und dem kleinen grauen Mantel der alten Frau. Sie fahren schon 17 Tage lang, und oben wartet seit 17 Tagen die Wunderwelt persönlich, daß sie kommen. Und da kommen sie ja auch schon, wie heraufgeweht von einer freundlichen kleinen Bö.

Denn hier oben, im dritten Obergeschoß, hat sich ein wirkliches Wunder ereignet: hier haben die Stofftiere angefangen zu leben. Hier wedelt's von allen Seiten mit den Puschelschwänzen und den Puschelpfoten: ein entfesseltes Pelzmeer von Androiden, das trotzdem nicht über den Rand schwappt. Und die beiden Klitzekleinen stehen klitzeklein wie in der Kirche und sehen zum 17. Mal zu, wie die Puschelpfoten gleichzeitig wedeln und Kuchen backen.

Natürlich steckt niemand anders hinter dem ganzen Zauber als die Firma Steiff, die ihre Knuddelwelt alle Jahre wieder vor Weihnachten durch die deutschen Kaufhausstädte schickt. Und damit die Beseelung nicht sinnlos wirkt, üben die Tiere Berufe aus, die man gut beruckeln und bezuckeln kann. Es ist aber auch wie im Märchen, weswegen noch lebensgroße Märchenfiguren zwischen all dem wedelnden Element stehen. Sogar der große böse Wolf, richtig grau und quasi auf dem Sprung zur Großmutter. Daß die Firma Steiff solche großen bösen Wölfe herstellt, das ist das einzige, was die kleine alte Dame nicht versteht. Es kann sich da nur um Sondermodelle handeln. Allerdings, die siebenundzwanzig zarten Geißlein dahinter, die sind ja wieder typisch.

Nein, keine verkehrte Welt kann das sein, die derart funktioniert. Wo Igel aus sich herausgehen und Meckis mit Mäusen Bier brauen. Der klitzekleinen alten Dame und ihrer klitzekleinen Enkelin ist es völlig egal, worum sich hier alles dreht. Hauptsache, es lebt. Hauptsache, die Hamster klopfen so emsig aufs Puschelblumenbeet, daß es die Maulwürfe umhaut. Und Hauptsache, all die unentwegten Katzen und Hasen und Hunde bleiben nicht auf einmal stehen. Aber nein, die beiden registrieren mit Genugtuung, daß sich seit gestern wieder nichts geändert hat, genau wie seit vorgestern und vorvorgestern nicht. Am schönsten wäre, es bliebe so bis ans Ende aller Tage, die ewige Wiederkehr des immer gleichen, wie es ruckelt und zuckelt. Das muß das Glück sein. Wie der Rauch aus Watte aus dem einen Schornstein. Wie immer dreht er nach links, was sonst. Die klitzekleine alte Dame und das kleine Mädchen reden wenig: Sie stehen eng umschlungen vor dem Wunder, und nach etwa einer Stunde rollen sie nach oben in den vierten Stock. Da wartet schon ungeduldig der zweite Teil. Verstohlen holt die klitzekleine alte Dame ihr Taschentüchlein heraus, um dahinter zu verschnaufen. Das kleine Mädchen wartet solange mit den Händen auf dem Rücken und traut sich kaum, allein zu schauen. Alleine ist alles ein bißchen unheimlich. Aber bald stehen beide wieder tief versunken, solange es irgend geht. Der Tag ist schließlich noch lang. Und wesentlich unpuscheliger als hier oben, wo man bloß immer wieder schauen muß, ob es auch wirklich wahr ist und wahr sein kann. Aber das ist es ja Gott sei Dank.

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