piwik no script img

Hilfe statt Strafe

■ Ein Projekt der Arbeiterwohlfahrt in Berlin-Plötzensee für gefangene Frauen

Nur etwa 5 Prozent aller Inhaftierten in der BRD sind Frauen. Ihre Biographien ähneln sich oft: frühe Gewalterfahrung in der Familie, keine Berufsausbildung, ein Leben in Abhängigkeiten. Meistens eine lange Geschichte von Demütigungen und Verletzungen. Für Frauen ist eine Gefängnisstrafe, die ihre bestehenden Probleme nur verschärft, noch weniger angebracht als für Männer und kostet zudem meist auch mehr, als in den meisten Fällen an Schäden für die Gesellschaft entstanden sind. Deshalb ist es an der Zeit, umzudenken und den betroffenen Frauen Hilfe statt Strafe anzubieten.

In der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Berlin-Plötzensee sind seit Jahren etwa 50 Prozent der Gefangenen nicht aufgrund einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe inhaftiert, sondern die Frauen verbüßen lediglich eine Ersatzfreiheitsstrafe. Alle formalen Bemühungen, die Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden, blieben ohne Ergebnis. Die Anschreiben und Beratungen von offizieller Seite konzentrieren sich auf die Strafe, die Gesamtsituation der betroffenen Frauen wird nicht mit einbezogen. Die Frauen, die oft wegen mehrfachen Schwarzfahrens, Klauens oder anderer minimaler Delikte verurteilt sind, öffnen oft den Brief der Justizbehörden erst gar nicht oder verstehen den Inhalt nicht. Oft vergeht zwischen der Verurteilung und der Zustellung des Urteils viel Zeit, so daß die Frauen den Bezug nicht mehr herstellen. Darüber hinaus greift das Angebot, bei Zahlungsunfähigkeit die Strafe durch gemeinnützige Tätigkeiten abarbeiten zu können, dann nicht, wenn die Frauen krank sind, sich nicht arbeitsfähig fühlen, Kinder zu versorgen haben oder seit Jahren nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben. Die Geldstrafe oder die drohende Ersatzfreiheitsstrafe ist dabei oft nur ein Problem unter vielen, das die Frauen nicht bewältigen können und daher ignorieren. In Kooperation mit der Senatsverwaltung für Justiz versucht die AWO seit Beginn des Jahres, in einem Modellprojekt die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden. Ein wichtiges Nebenprodukt dieses Projekts: Der öffentlichen Hand werden die Kosten für den Haftplatz erspart.

Die Verrichtung von gemeinnütziger Arbeit soll auf lange Sicht straffällige Frauen befähigen, unabhängig von öffentlicher Unterstützung leben zu können. Die Erfahrungen der letzten Wochen haben gezeigt, daß die Mitarbeitenden in den gemeinnützigen Einrichtungen ihre Vorurteile gegenüber Gefangenen überprüfen und/ oder aufgeben.

„Unser Hauptanliegen bei der Projektarbeit ist es, die ökonomischen und individuellen Probleme der straffälligen Frauen aufzugreifen, um ihnen ein umfassendes Hilfsangebot unterbreiten zu können“, sagt Gisela Krüger, die dieses Projekt angeregt und mitinitiiert hat. Parallel zu der gemeinnützigen Arbeit werden intensive Beratung und Betreuung angeboten, die über den Zeitraum der Tätigkeit hinausgehen. „Wir sehen die Straffälligkeit von Frauen in erster Linie als Ausdruck einer Krisensituation, in der unterschiedlichste Belastungsfaktoren zusammentreffen können: Überforderung, Verschuldung Abhängigkeiten, schlechte und/oder ungesicherte Wohnverhältnisse, Krankheit. Neben nicht zu leugnenden Schwierigkeiten, verfügen die straffälligen Frauen aber auch über eine Fülle von Ressourcen und Fähigkeiten, die bewußt gemacht, gestützt und gestärkt werden müssen. Unser Bemühen ist es, durch das Hilfsangebot die Selbstfindung und Selbständigkeit der Frauen zu fördern, um ihnen eine bessere Zukunft ohne Straffälligkeit zu ermöglichen.“

Der organisatorische Ablauf ist folgender: Die AWO sucht bei gemeinnützigen Einrichtungen Arbeitsplätze. Es wird darauf geachtet, daß es grundsätzlich eine Akzeptanz gegenüber straffälligen Frauen gibt, daß sie auf ein Arbeitsklima treffen, bei dem anzunehmen ist, daß die Frauen in den MitarbeiterInnenkreis integriert werden. Die Projektleiterin hält regelmäßigen Kontakt zum Arbeitgeber und bietet Beratungen an, wenn Schwierigkeiten auftreten sollten. Frauen, die ihre Ersatzfreiheitsstrafe im Knast antreten, werden über die Möglichkeit informiert, daß sie die Strafe auch ersatzweise abarbeiten können, sofern eine Gesundheitsuntersuchung ergeben hat, daß sie arbeitsfähig sind. Möchte eine Gefangene von dem Angebot der AWO Gebrauch machen, veranlaßt die Anstalt eine Vollzugslockerung, d.h., die Gefangene hat die Möglichkeit, sich mit der Projektleiterin den potentiellen neuen Arbeitsplatz anzugusehen. Ist der Arbeitgeber bereit, die Gefangene zu beschäftigen, wird die Entlassung aus dem Strafvollzug eingeleitet.

Pro Tagessatz werden sechs Stunden gemeinnützige Arbeit verrichtet. Während der ganzen Zeit der gemeinnützigen Tätigkeit leistet die AWO eine Zusatzbetreuung, macht den Frauen Mut, geht auf ihre Ängste ein, hält Kontakt mit den ArbeitgeberInnen. Die AWO ist aber auch verpflichtet, die zuständigen RechtspflegerInnen bei der Staatsanwaltschaft zu informieren, wenn die Arbeit nicht aufgenommen oder abgebrochen wurde und trotz intensiver Bemühungen kein Kontakt mehr zu der betroffenen Frau hergestellt werden kann.

Seit Anfang des Jahres haben 34 Frauen dieses Projekt durchlaufen. Ohne die umfassende Betreuung der AWO hätten vielleicht 10 Prozent durchgehalten. Neben dem Erfolg für die Frauen, denen Inhaftierung erspart geblieben ist, gibt es eine weitere positive Bilanz. Wenn diese 34 Frauen ihre Strafe insgesamt abgearbeitet haben, betragen die eingesparten Haftkosten 206.225 Mark, bis zum 14.10. 1994 wurden real 113.375 Mark eingespart. Damit kann sich auch in Justizkreisen das Projekt sehen lassen. Eigentlich ein ernstzunehmendes Argument gegen den immer mehr propagierten verschärften Ausbau des Freiheitsentzugs. Mitarbeit von Gisela Krüger und Margit Niegel von der Arbeiterwohlfahrt (AWO)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen