: „... dann sehen wir, wo dein Land ist“
Eine srilankische Tamilin kehrt auf die vom Bürgerkrieg zerstörte Halbinsel Jaffna zurück / Ernüchterung in der fremd gewordenen Heimat: Die dortgeblieben sind, begegnen ihr mit Mißtrauen ■ Aus Jaffna Bernard Imhasly
Sie hat ihren Job gewechselt, nur für diese Reise. Vor einigen Wochen war Pearl Thevanayagam noch Reporterin bei dern Daily News. Als sich die ersten Friedensgespräche zwischen Regierung und der separatistischen Tamilenguerilla LTTE abzeichneten, wußte sie, daß das ihre Story war: Sie stammte aus Jaffna, kannte die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) und wußte, daß die Tiger mit tamilischen Journalistinnen weniger kontaktscheu sind als mit singhalesischen Männern. Aber Pearl wußte auch, daß sie keine Chance hatte, für das singhalesische Massenblatt aus der Hauptstadt Colombo den Jaffna- Auftrag zu bekommen – aus den gleichen Gründen: Sie war Frau und Tamilin. Sie bewarb sich daher um einen Job bei einer neuen Sonntagszeitung, dem Sunday Leader.
Es klappt, sie wird in das von der LTTE beherrschte Jaffna geschickt, um über die Friedensgespräche zu berichten. Während ihre Kollegen TV-Kameras und Tonbandgeräte anschleppen, hat Pearl eine Einkaufstasche voller Früchte bei sich. Die Tante will sie besuchen, ihre Schule, wo Bilder ihres Vaters hängen, das alte Bischofshaus, wo sie bis zum Wegzug nach Colombo ihre Jugend verbracht hatte.
Das war 1978 gewesen. Die Regierung hatte Singhalesisch als einzige Nationalsprache durchgesetzt, und aus Protest schied Pearls Vater aus dem Staatsdienst aus. Er würde sich als Künstler durchschlagen, und das war nur in Colombo möglich. Doch kurz nach dem Umzug starb er, und als Tamilen fühlten sich Pearl und ihre Geschwister nun noch unsicherer. Als Pearl an einem Tag im Juni 1983 aus der Schule nach Hause kam, sah sie, wie eine aufgehetzte Menge Möbel und die Bilder ihres Vaters aus den Fenstern warf und vor ihrem Haus verbrannte. Dreizehn Polizisten waren in Jaffna von extremistischen Tamilen ermordet worden, und das Begräbnis in Colombo verwandelte sich in schwere antitamilische Ausschreitungen. „Ich versteckte mich, klamm vor Furcht, hinter den vielen Zuschauern und hoffte, niemand würde mich erkennen.“ Die Mutter beschloß, nach Jaffna zurückzukehren. Doch drei Jahre später ist die Familie wieder in Colombo: In Jaffna tobte der Krieg, die Nahrung wurde knapp, und alle Schulen waren geschlossen.
Nun ist Pearl wieder auf dem Heimweg. Kaum ist sie im Kleinbus vom Übergang Point Pedro nach Jaffna, macht ihr bisheriges nervöses Schweigen einer ebenso nervösen Gesprächigkeit Platz. Sie schwatzt mit den LTTE-Begleitern, und auch gegenüber den singhalesischen Kollegen spricht sie plötzlich tamilisch. Als sie deswegen gehänselt wird, wirft sie, unbeherrscht, ein: „Warum nicht? Ich bin jetzt in meinem Land.“ Das war ein Wort zuviel: „So so, du bist jetzt in deinem Land“, äfft sie ein aufgebrachter singhalesischer Journalist nach. „Warte nur, bis wir wieder auf dem Schiff sind, dann werden wir sehen, wo dein Land ist.“ Beide Seiten sind erschrocken über das plötzliche Aufreißen eines Grabens, und der Rest der Fahrt geht schweigsam vor sich.
Das Wiedersehen mit den Verwandten wird zu einer Enttäuschung. Sie nehmen die Orangen und Ananasköpfe zwar wie selbstverständlich an, aber sonst sind sie mißtrauisch. „Sie beneiden uns, weil wir es in Colombo so gut haben, während sie oft nicht einmal Zündholzer kaufen können. Aber dann sagte mir meine Tante: ,Warum bist du nicht hier, in Jaffna, jetzt, wo wir Tamilen so sehr leiden müssen?‘“ Pearl ist befremdet, und sie findet sich auch sonst nicht mehr zurecht: „Die Schule war zu, und ich konnte die Bilder meines Vaters nicht sehen. Aber die zwei Betonskulpturen im Garten waren noch da – sie haben die Bomben überlebt.“
Sie geht ernüchtert nach Colombo zurück. Die Idee, Jaffna- Korrespondentin ihrer Zeitung (und der taz!) zu werden, wird ohne Gefühlsregung begraben. Sie fürchtet sich ein bißchen vor ihren singhalesischen Kollegen, aber diese meiden sie. In ihrer Tasche trägt Pearl eine Tafel billige indische Schokolade nach Hause, die ihr der Hotelbesitzer gegeben hat. „Stell dir vor, was die in Jaffna kostet – aber für uns ist sie wertlos.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen