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Ashkenazy, der tolle Prolet

Er kam förmlich hereingesprungen, auf die Bühne der Musikhalle. Mehr wie ein Hochseilartist denn wie ein Klaviervirtuose. Auch sein Habit, das blaue Jackett, die schwarze Hose und das hochgeschlossen weiße Hemd, war ungewöhnlich genug. Auf breiten Beinen, die Arme und Schultern kraftvoll schlenkernd wie ein Jockey lief der kleine Mann über die Bühne; kein Zweifel, Vladimir Ashkenazy haftet etwas Proletarisches an. Wenn er sich freilich kurzentschlossen an den Flügel setzt und ohne eitel Zieren die Töne in den Raum schickt, hebt sich alle Soziologie auf in Musik, und die Leute wissen sofort, daß da einer der Großen der Zunft sitzt. Seine Größe freilich ist nicht universell.

Das Programm hatte buchstäblich zwei Hälften. Nach der Pause stand Prokofieff an, zwei Stücke aus dem Ballett Romeo und Julia, für's Klavier bearbeitet vom Komponisten selbst, danach – Ashkenazy hatte gebeten, zwischenein auf Beifall zu verzichten – die Sonate Nr.8 op.84. Und Prokofieff, das ist ein Heimspiel für den Russen, da scheint er nicht nur geographisch daheim, sondern vielmehr spirituell, denn nahezu alles stimmt. Stimmig die lakonisch lyrischen Passagen, herrlich die Farbwechsel und begeisternd die Souveränität, mit der er den hyperschwierigen orchestralen Finalteil hinzauberte – als habe er das Prokofieffspielen höchstselbst erfunden.

Warum in Gottes Namen muß solch ein Meister romantischer Tastenzauberei vor der Pause partout auch noch Beethoven bieten? Da nämlich fehlte sie, die absolute Sicherheit des Zugriffs, da gingen die polyphon gedachten Partien der Sonaten op.31 an einer Überdosis Pedal zugrunde, wenig war da scharf ausfiguriert, merkwürdige Temposchwankungen. Die Rezitative der sogenannten Sturmsonate freilich, die brachte er unendlich zart zum Sprechen. Sechsmal holte man ihn heraus vor Begeisterung. Wollte eine Zugabe. Er aber schüttelte bedauernd die Hände aus. Leer. Arbeit getan. Doch ein Proletarier. Stefan Siegert

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