Sanssouci: Nachschlag
■ Eine Podiumsdiskussion über israelische Nationalkultur
Lebendig und spannend: Es gibt (mindestens) eine israelische Kultur. Darauf konnten sich Sonntag nachmittag vier Vertreter dieser Kultur einigen, was zahlreiche Zuhörer im Centrum Judaicum mit lautem Beifall honorierten. Ob man aber von einer „Nationalkultur“ sprechen kann, wie der Titel der Veranstaltung im Rahmen der Jüdischen Kulturtage es formulierte? Mit dem deutschen Begriff konnten die Diskutanten – die Schriftsteller Sami Michael, Jitzhak Laor und Benny Ziffer sowie Yael Dayan, Parlamentsabgeordnete für die Arbeiterpartei – nichts anfangen. Ebensowenig gingen sie auf das Thema Holocaust ein.
„Gibt es noch ein Volk, das wie wir ständig seine Identität in Frage stellt?“ fragte Michael, der als 22jähriger aus dem Irak einwanderte und seitdem das israelische Establishment meidet. Das Rätsel „wer ist ein Jude“ wurde nicht gelöst, aber Michael versicherte, daß Israel viel eher als Jordanien, Syrien und der Irak eine eigenständige Kultur habe. Laor, der als Enfant terrible der israelischen Kulturszene gilt, pochte darauf, daß in jeder Gesellschaft und vor allem in Israel unterschiedliche Kulturen nebeneinander bestünden und daß man für diese Widersprüche dankbar sein müsse. Die Zionisten etwa benutzten religiöse Argumente, hielten sich aber nicht an die Gebote. Ziffer wiederum, Feuilleton- Redakteur der Tageszeitung Haaretz, dessen Erstlingsroman demnächst erscheint, suchte nach einem kulturellen Konsens wie der hebräischen Sprache. Auch das wollte Laor nicht akzeptieren, während Dayan die aufgezwungene israelische Kultur beklagte. Sie würde lieber sehen, wenn man die unterschiedlichen Einwandererkulturen im Schmelztiegel Israel vermischte.
Michael hielt dagegen, daß man auch ihn in diesem Tiegel „kochen wollte“, was er aber nicht zugelassen habe. Auch als Vertreter der orientalischen Juden wollte er nicht gelten. Daß der Schmelztiegel zumindest biologisch, wenn nicht kulturell, doch die Oberhand gewonnen hat, beweist Michaels Familie. Beim Geburtstag seiner 83jährigen Mutter sahen die Urenkel wie die „Vereinten Nationen“ aus, also weder orientalisch noch europäisch.
„Gehören zur israelischen Kultur nur Juden oder auch Palästinenser?“ wollte ein Zuhörer wissen. Von der Bühne kam ihm ein lautstarkes „Jawohl“ entgegen. Sie sind zwar nicht ganz integriert, unterscheiden sich aber inzwischen von den Palästinensern in den besetzten und autonomen Gebieten: Auch Arabisch sprechen sie inzwischen gemischt mit hebräischen Worten. Igal Avidan
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