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Von Sehhilfen und anderen Handreichungen Von Klaudia Brunst

Als ich gestern morgen gewohnheitsmäßig meine Brille aufsetzen wollte, hielt ich plötzlich zwei Teile in der Hand. Der Nasenbügel meiner Sehhilfe war ganz offenbar über Nacht der Widerständigkeit der Dingwelt zum Opfer gefallen.

Etwas verschwommen tastete ich mich durch meine Wohnung, auf der Suche nach einem Ersatzglas. Und tatsächlich fand sich in der Küchenschublade nicht nur meine alte Hornbrille, sondern auch noch die kleine Karte meines Optikers: „Brillenpaß Prillmann“ stand darauf, und daß mir auf das soeben erstandene Qualitätsprodukt eine kostenlose Jahresgarantie gegen Glas- und Gestellbruch eingeräumt werde sowie eine Gewährleistung auf alle Prillmann- Gestelle über sensationelle zwei Jahre. „Ich habe Garantie und eine kaputte Brille“, begrüßte ich also wenig später den Leiter der hiesigen Prillmann-Filiale und legte ihm mit einem souveränen „Bitte regeln Sie das“ meinen Brillenpaß auf die Verkaufstheke. „Kein Problem“, meinte der, „wie Sie sicher wissen, haben wir hier über 2.000 verschiedene Sehhilfen im Angebot, einen Großteil ohne Zuzahlung. Unsere Frau Schmitke wird Sie gerne bei der Auswahl einer neuen Brille beraten.“ Einen Anspruch auf Garantie hätte ich allerdings nicht mehr, schließlich sei mein Brillenpaß soeben abgelaufen. „Aber die Gestellgewährleistung von sensationellen zwei Jahren, die habe ich noch!“ entgegnete ich und wedelte – Ordnung ist das halbe Leben – triumphierend mit meiner Kaufquittung. „In diesem Fall“, räumte der Optiker nach genauem Studium des Kleingedruckten ein, sei ich aber in der Auswahl deutlich eingeschränkt. Denn nach Paragraph 7 der Geschäftsbedingungen müsse ich bei Ausschöpfung der mir zugesagten Gewährleistung in jedem Fall mit demselben Gestell, in diesem Fall dem im Brillenpaß ausgewiesenen Modell Lozza 501, vorliebnehmen. „Soweit richtig“, stimmte ich ihm zu, „nur möchte ich keinesfalls dasselbe, weil kaputte Gestell, sondern ein gleiches, nämlich fabrikneues Lozza 501.

Das aber war natürlich bereits ausverkauft, und in das Nachfolgemodell Lozza 601, fast identisch mit Lozza 501, paßten, wie sich herausstellte, meine Gläser nicht. „Man trägt diese Saison die Gläser gerne etwas größer“, entschuldigte Frau Schmitke das Malheur und zeigte sich nun endgültig ratlos in der Frage, was jetzt eigentlich aus meinem Garantieanspruch werde. „Ihre Gläser sind ja nicht beschädigt, also fallen sie auch nicht unter die Gewährleistung“, grübelte sie, aber ohne Gläser sei die Lozza 601, die sie mir laut Geschäftsbedingungen durchaus kostenlos überlassen dürfe, wiederum nur eingeschränkt funktionstüchtig. „Das sehe ich auch so“, stimmte ich ihr zu, „denn ohne meine medizinischen Gläser sehe ich durch die Lozza 601 doch gar nichts.“

Da hätten wir „eine interessante Lücke in den Geschäftsbedingungen entdeckt“, mischte sich nun wieder der Filialleiter ein. In diesem besonderen Fall werde er mir natürlich „ganz unbürokratisch“ entgegenkommen: Er persönlich rate seinen Kunden nämlich aus medizinischen Gründen sowieso verstärkt zu Kontaktlinsen. Und Prillmann habe da auch gerade eine Sonderaktion laufen: „Kostet Sie nur 184 Mark Zuzahlung pro Haftschale.“ Das Fensterglas für meine Lozza 601 gehe dann natürlich auf Kosten des Hauses.

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