: Kunst aus goldener Zeit
■ Die Kunsthalle zeigt „Rembrandt und sein Jahrhundert“
Hamburgs Kupferstichkabinett ist nach Berlin die zweitwichtigste Sammlung dieser Art in Deutschland. Und doch ist es kaum bekannt. So ist es ein großes Verdienst, im 125. Jahr der Kunsthalle einmal deutlich darauf hinzuweisen, welche Schatzkammer sich hier befindet. 130 Handzeichnungen aus dem sogenannten „goldenen“ 17. Jahrhundert der Niederlande werden jetzt in der Ausstellung Rembrandt und sein Jahrhundert präsentiert.
Die meisten Blätter wurden in den 131 Jahren, seit Ernst Georg Harzen für den Aufbaufundus der Kunsthalle 1863 30 000 Zeichnungen und Drucke stiftete, noch nie gezeigt. Dabei besitzt das Kupferstichkabinett mit sieben echten Rembrandt-Zeichnungen, die von den 30 einstigen Zuschreibungen verblieben, genau ein Prozent der weltweit als Originale eingeschätzen Blätter und die einzige bekannte Zeichnung von Hendrick Terbrugghen, einem der Utrechter Caravaggisten, deren kontrastreiche, am römischen Malgenie orientierte Kunst selten zur Zeichnung fand.
Die Ausstellung entfaltet ein Panorama einer Zeit, in der in den kleinen Niederlanden über 3000 Künstler arbeiteten.
Es war nicht nur für die Kunst eine goldene Zeit. Wo um 1630 die Genrebilder als Novum in der Kunstgeschichte noch drastisch pissende Bauern und kackende Hunde zeigen, sind 50 Jahre später alle in Seide gekleidet. Dies ist nicht nur eine veränderte Sichtweise, sondern entspricht dem tatsächlichen wirtschaftlichen Aufstieg des Landes. Auch Kunst ist kein Luxusgut des Adels mehr, sondern eine auf dem Markt gehandelte Ware. Allerdings gibt es außer den Künstlerkollegen nur wenige Sammler von Handzeichnungen, die hier gezeigten Blätter sind also meist Studien oder Vorlagen für Kupferstiche.
Neu an der niederländischen Kunst dieser Zeit sind die exakten Naturstudien, auch am weiblichen Akt und sogar mit der Einführung von Bewegungsspuren bei den windgeschüttelten Bäumen. Neu ist die überwiegende Weltlichkeit der Bilder, die sich jeder vordergründigen religiösen oder moralischen Allegorisierung enthalten. Dünen im Seewind, die Kunstlandschaft der Polder oder bürgerliche Innenräume werden scheinbar zeitlos mit klarem Strich abgebildet. Doch dieser protestantische Pragmatismus ist zwar eine griffige Definition für ein zentrales Wesensmerkmal der niederländischen Kunst, gilt aber nicht für alle Künstler und schon gar nicht für den genialischen, scheinbar flüchtig die Linien hinwerfenden Rembrandt und seine Schüler.
Zum Realismus gibt es Gegenströmungen: die Spätmanieristen des ausgehenden 16. Jahrhuderts mit den eher sinnbildlichen Bildinhalten und später dann die Italianisten. Diese entwickeln typisierte Straßenszenen des südlichen Lebens, die auch von Künstlern produziert werden, die Italien nie gesehen haben. Auch werden Studien zum Rohmaterial, das quasi industriell in verschiedene Bildkompositionen übernommen wird, bis hin zu den architekturbezogenen Dekorationsprogrammen des 18. Jahrhunderts.
In Anlehnung an Möblierungen von Graphikkammern der Kaiserzeit hat Frank Barth neue Sehhilfen entworfen: vor ausgewählten Zeichnungen sind zur armauflegenden Ruhehaltung einladende, gleichzeitig richtige Lesenähe und korrekte Distanz definierende Stahlwinkel an die Wand geschraubt. Sie bilden so „Futterkrippen fürs Auge“ beim lohnenswerten eingehenden Studium großer Zeichenkunst.
Hajo Schiff
Hamburger Kunsthalle bis 15. Januar. Katalog 35 Mark.
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