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„Nicht die Bürger, die Akten sollen laufen“

■ Köpenick ist der zweite Bezirk mit einem Bürgeramt / Im Weißenseer Bürgerbüro soll es noch in diesem Jahr Wohnberechtigungsscheine zum Mitnehmen geben

Das Rathaus ist neben der „Cöpenicker Bank“ eins der schönsten Häuser in der Altstadt von Köpenick. Der 1904 fertiggestellte Bau, der durch die Besetzung des arbeitslosen Schuhmachers Wilhelm Voigt, verkleidet als preußischer Hauptmann, berühmt wurde, wurde erst vor wenigen Monaten restauriert. Noch jungfräulicher ist das Bürgerbüro, das Mitte Oktober in dem märkischen Backsteingotik-Gebäude mit dem 54 Meter hohen Turm eröffnet wurde.

Seitdem kommen täglich zwischen 150 und 200 Köpenicker, um das Gegenteil von aufwendiger Bürokratie zu erleben. An einer einzigen Stelle können sie hier sowohl Wohnberechtigungsscheine (WBS), Erziehungs-, Familien-, Pflege- oder Wohngeld als auch Sozialhilfe und Kitaplätze beantragen. Darüber hinaus stellt das Bürgeramt Räume für Renten-, Rechts- oder Schuldnerberatungen zur Verfügung. Als Vorbild für die „Verwaltung aus einer Hand“ diente dem Köpenicker Amt das Bürgerbüro in Weißensee, das als erste Berliner Einrichtung dieser Art im Juli 1993 eröffnet wurde.

Direkter Draht zum Landeseinwohneramt

Derzeit gibt es einen „saisonbedingten“ Andrang bei der Lohnsteuerbearbeitung. Kurt Schmitz* will seine Steuerklasse ändern. Die zwanzig Minuten, die er ausharren muß, bis seine Wartenummer auf der elektronischen Tafel erscheint, vertreibt er sich damit, in einigen der zahlreich ausliegenden Broschüren über Wohngeld, Vermögens- und Mietrecht zu blättern. Kurze Zeit später verläßt er das Amt als zufriedener Bürger. Durch eine Datenleitung zum Landeseinwohneramt wurde seine Steuerklasse innerhalb weniger Minuten geändert. Kurt Schmitz ist nach seinem ersten Besuch erfreut über die „gute Beratung“, die ihm hier zuteil wurde.

Weniger zufrieden ist Liselotte Schröder*. Im Unterschied zu ihm hatte sie auf eine Beratung darüber gehofft, welche Steuerklasse für sie als ABM-Kraft und für ihren Mann als Rentner am günstigsten sei, und ob sich das Studium ihres Sohnes irgendwie darauf auswirke. Solche Fragen von Laien, die nicht sicher sind, ob ihre zu Hause angestellten finanztechnischen Überlegungen den Tatsachen entsprechen, gibt es hier häufiger. „Wir wollen ungern in einem Jahr nachzahlen“, sagt Frau Schröder, „deshalb wollen wir eine Sicherheit vor der Entscheidung.“

Doch die gewünschte Beratung in Sachen Steuerklasse kann ihr das Bürgeramt nicht geben. „Das übersteigt unsere Kompetenzen“, sagt Karin Fritzsche, die stellvertretende Leiterin des 900.000 Mark teuren Amtes, an dessen Finanzierung sich der Berliner Senat mit über 700.000 Mark beteiligt hat.

Hinweise der Besucher ausdrücklich erwünscht

Aber den Hinweis von Liselotte Schröder, doch immerhin Vordrucke für das Finanzamt in ihrem Bürgeramt auszulegen, nimmt sie gerne auf.

Siebzehn ehemalige Mitarbeiter des Bezirksamtes Köpenick und der Bürgerberatung arbeiten in dem Büro, das ein Projekt der Verwaltungsreform ist. Am Informationsschalter in der Mitte des großen, mit Palmenkübeln und Weihnachtsgestecken ausgeschmückten Raumes erfolgt der erste „Check“: entweder kann gleich dort mit Vordrucken oder Hinweisen auf externe Beratungen geholfen werden, oder der Besucher wird an einen Mitarbeiter der vier Fachbereiche Jugend, Soziales, Bauen und Wohnen und Kultur verwiesen. So wird der älteren Dame, die den gewünschten Antrag zur Akteneinsicht bei der Gauck-Behörde gleich an der Zentrale bekommt, unnötige Warterei erspart, während eine andere über das Arbeitslosenticket informiert wird.

Bei einer ersten Auswertung der Arbeit in Köpenick vor zwei Wochen wurden 2.000 Besucher gezählt. „Das Bürgeramt wird sehr gut angenommen“, erklärt die stellvertretende Leiterin, die vorher in der Bürgerberatung gearbeitet hat, wo eine „Riesenpalette an Problemen nur an der Oberfläche“ bearbeitet wurde. Derzeit wünscht sie sich eine „noch konkretere Bearbeitung“, so daß jeder Mitarbeiter in Zukunft alles machen kann.

Was für Karin Fritzsche noch in weiter Ferne liegt, wird im Bürgerbüro in Weißensee noch dieses Jahr möglich sein: den WBS sofort nach der Beantragung mitzunehmen. Die entsprechende Datenleitung zur Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen steht bereits, und bis Ende des Jahres soll den Antragstellern der WBS gleich in die Hand gedrückt werden. „Die Akten sollen laufen, nicht die Bürger“, faßt die Leiterin Barbara Kuhlmann die Funktion des Bürgerbüros zusammen. Der Erfolg gibt ihr recht: Seit der Eröffnung vor fast anderthalb Jahren zählte die bürgernahe Einrichtung fast 20.000 Besucher. Barbara Bollwahn

*Name von der Red. geändert

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