■ Straßmanns kleine Warenkunde: Sebamed
Um sich greifen Sonderseifen. Sagen Sie sieben Mal „Beihnachten“. Dann wissen Sie, wie man „Sebamed“ ausspricht: knasig, näselnd, beinerlich, distanzös, wattig, unnah. Und jetzt probieren Sie dasselbe mit „Kernseife“. Kapiert?
Friedrich Karl Kern mußte seinerzeit noch davon ausgehen, daß Seife dafür gebraucht wird, Dreck von der Haut zu schaffen. Heute braucht man Seife, um von vornherein jeden Gedanken an Schmutz abzutöten. Tötet sie! Die Gedanken an Wildheit, Ekstase, Verderbtheit, an Saff und Kraff, Muff und Suff. Sebamed-Seifer signalisieren mentale Asepsis und umfassende Sterilität. Sie riechen nach Zahnarzt.
Dabei dienten diese Sonderseifen mal einem guten Zweck. Sie wurden erfunden, um schon zwei Minuten alte Säugliche seifen zu können, ohne daß es schadet. Toll! Man könnte Embryonen damit seifen! Wie ein ungemein verletzlicher Embryo aber fühlt sich der Mensch von heute und zieht sich den pH5-Eucerin Säureschutzmantel an. Mit ungewöhnlich mildem Reinigungskomplex (zum Patent angemeldet).
Früher dachte ich, nur Mädchen, denen die Pubertät zu schnell geht und die Pferdeposter an der Wand haben, hätten einen ungewöhnlich milden Reinigungskomplex. Aber bei wem steht Sebamed auf dem Badewannenrand? Bei Helga Trüpel. (Diese Bemerkung soll Kritikern dieser Kolumne den Wind aus den Segeln nehmen, die behaupten, die Kleine Warenkunde hätte keinerlei lokalen Bezug.) Nein, bei Oma steht Sebamed. Und Susanne benutzt Nivea-Seife. Seit Jahren. Für Babyhäute viel zu schade.
Wobei Nivea-Seife insofern eine Sondestellung einnimmt, als sie auch noch über die Nase kommuniziert und so subtilst selbst laute Worte oder verschleimtes Räuspern verbietet – pssst, Baby schläft! Die anderen Säuremantelpflegemittel streben den Ungeruch an. Tatsächlich aber riechen sie nach Nichtriechenwollen. Und das riecht leider immer wie Zahnarzt.
Können Sie sich einen Fahrstuhl vorstellen, vollgestopft mit Sebamed-Seifern? Ein soziales Ereignis! Bei größtmöglicher Nähe hätte man die weitestdenkbare Distanz. Ein Lebendversuch zum Thema Überbevölkerung in vitro. Ach was: ein Paradigma! Denn wenn es eine Zukunft gibt, ist sie kindlich. Und hat einen ganz milden Reinigungskomplex. Burkhard Straßmann
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