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Backbeatles für immer

Dokument der Frühe, unverzichtbarer Hausschatz für Fans, aber beileibe kein wirklich „neues“ Beatles-Album: „The Beatles Live at the BBC“  ■ Von Noäl Rademacher

Eine ungewöhnliche Beatles Revival Band hatte sich im letzten Jahr um Thurston Moore von Sonic Youth und Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl zusammengefunden, um den Soundtrack für den Film „Backbeat“ einzuspielen: Anstelle der altbekannten Beatles- Evergreens nahm man sich das Rock'n'Roll-Repertoire vor, mit dem John, Paul, George und (damals noch) Pete in den frühen Sechzigern Nacht für Nacht das St.-Pauli-Publikum unterhalten hatten. Die Message: auch die braven Beatles waren irgendwann mal Punks.

Seit Punk als „Grunge“ hitparadenfähig geworden ist, wächst das Interesse an Gründungsmythen, an den wilden Ur-Beatles der Frühphase im „Star Club“, bevor sie ihre Lederjacken gegen kragenlose Anzüge eintauschten. Anders wäre das unwahrscheinliche Interesse an diesem „neuen“ Beatles- Album gar nicht zu erklären, die Meldungen von Teenagern, die vor den Plattenläden übernachten, um morgens die ersten in der Schlange der Käufer zu sein. Die Beatles, um die es hier geht, sind selbst fast noch Kinder, unbekümmerte Jungs mit dem Humor der unteren Mittelklasse, vom Starruhm zwar gerade ein-, doch längst noch nicht überholt. „Unsere beste Zeit als Live-Band hatten wir in Hamburg“, behauptete auch George Harrison in einem Interview von 1969. „Später, als wir berühmt waren, mußten wir immer unsere Hits spielen, um die Platten zu promoten.“ Ganz Recht hat er damit nicht: Bis in die Mitte der sechziger Jahre blieb den Beatles eine Nische, um weiterhin ihr Rock'n'Roll-Repertoire zu spielen: die exklusiven Sessions in den Studios der British Broadcast Cooperation (BBC), wo sie in den Jahren 1963 bis 1965 regelmäßig zu Gast waren. Ein Großteil dieser Aufnahmen ist seit ganzen drei Tagen in den Läden – auf einer Doppel-CD mit dem Titel „The Beatles Live At The BBC“.

Den Moderatoren der in England zärtlich „Beeb“ genannten BBC war es in den spießigen frühen Sechzigern untersagt, in ihren Programmen mehr als einen bestimmten Prozentsatz an Pop-Platten aufzulegen. Um dennoch das Potential an Hörern im Teenie-Alter erschließen zu können, ersann man einen einfachen Trick: Die Bands spielten das Material für die Sendungen direkt in den eigenen Studios der BBC ein. Eine Tradition, die übrigens bis heute vom britischen Pop-Paten John Peel fortgeführt wird.

Die Sessions für die BBC liefen wie Live-Auftritte ab, nur ohne Publikum: an einem Tag spielten die Beatles das Material für zwei bis drei Programme ein. Aus Zeitmangel mußte auf Overdubs und sonstige technische Kosmetik verzichtet werden. Aus diesem Grunde griffen die Beatles auf altes Material zurück, das sie jahrelang Nacht für Nacht in den Liverpooler und Hamburger Klubs gespielt hatten: meist amerikanische Rhythm'n'Blues- und Rock'n'Roll- Klassiker – von Chuck Berry, Little Richard und Carl Perkins.

Von den 88 Songs, die die Beatles zwischen 1962 und 1965 für die BBC aufnahmen, veröffentlichten sie 36 nie selbst auf Platte – jedoch ist auch nur ein einziger davon eine Lennon/McCartney-Komposition. Das Doppelalbum enthält immerhin gut zwei Drittel dieses Materials. Die Auswahl und Zusamenstellung übernahm der ehemalige Produzent der Beatles, George Martin, höchstpersönlich. Da er jedoch bei den originalen Sessions nicht dabei war, können die Aufnahmen als Exempel dafür gelten, was die Beatles im Studio produzierten, wenn Martin sie einmal nicht aus dem Kontrollraum disziplinierte: schrummeligen, gitarrenverstimmten Rhythm'n'Blues, wie ihn die Rolling Stones zur gleichen Zeit – und auf dem gleichen Sender – härter und besser boten.

Auch wenn das nicht sonderlich spektakulär ist, versteht man beim Hören dieser „neuen“ Beatles- Platte doch, was den Leuten vom Hamburger Kiez daran gefallen haben muß: wenn zum Beispiel Lennon mit schneidender Stimme, als hätte er Dylan damals schon gekannt, den Ray-Charles-Klassiker „I Got A Woman“ singt oder McCartney bei „Lucille“ zum perfekten Little-Richard-Double wird. Nicht nur für Historiker interessant auch seine Interpretation des Presley-Hits „That's Alright, Mama“ – aus Ehrfurcht vor ihrem Idol hatten die Beatles nämlich nie eine Elvis-Nummer auf Platte veröffentlicht. Das melodiöse „Soldier Of Love“ von Arthur Alexander könnte dagegen glatt als Lennon/McCartney-Original durchgehen. Doch wie gesagt: Nur ein einziger der bisher unbekannten Songs stammt tatsächlich aus deren Feder: „I'll Be On My Way“ – und enttäuscht: die unspektakuläre Komposition überließen die beiden damals wohl bewußt Billy J. Kramer zur Veröffentlichung.

„The Beatles live at the BBC“ ist eine wichtige Momentaufnahme der Beatles-Genese, außerdem natürlich ein unverzichtbarer Hausschatz der Beatles-Kultur, wie wir sie kennen. Man fragt sich bloß, weshalb diese frühen Dokumente so lange der Veröffentlichung harren mußten – wo doch schon 1982 ein rund um die Welt gesendetes Radio-Feature mit dem Titel „The Beatles At The Beeb“ einen Teil dieses Materials präsentierte. Die unglaubliche Wahrheit: die BBC hatte fast alle Aufnahmen vernichtet. Von 52 Sendungen, die mit den Beatles produziert wurden, ließen sich lediglich zwei in den Archiven auffinden. Für die Zusammenstellung der neuen Platte mußte die EMI deshalb auf private Mitschnitte der Sendungen zurückgreifen, die in den letzten Jahren nahezu komplett auf Raubpressungen erschienen waren.

„The Beatles Live At The BBC“ (EMI)

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