Die dörflichste Millionenstadt der Welt

■ Oberbaudirektor Kossak will Hamburg zu einer echten Metropole machen: mit Straßenbahn und Bebauungsverdichtung / Autos und LKWs sollen weichen Von Florian Marten

Hamburg ist viel zu dünn besiedelt. Es geht mit seiner Fläche unglaublich verschwenderisch um. Eine grundlegende Umkehr ist erforderlich. Hamburg kann und muß auf seiner gegenwärtig schon bebauten Fläche noch leicht bis zu 100.000 Wohnungen bauen, ohne daß eine Wiese oder ein Park dran glauben müssen. Hamburg hat als Autostadt keine Chance: Die Strassenbahn muß her – und zwar schnell. Thesen eines durchgeknallten grünen Wunschträumers?

Nein, Oberbaudirektor Egbert Kossak, immerhin federführend für die Stadtentwicklungskonzeption Hamburgs, hat in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt einen radikalen Kurswechsel in seiner Beurteilung von Stadt, Stadtentwicklung und Verkehr vollzogen. Mit kompromißloser Klarheit und missionarischer Beredsamkeit bringt er derzeit seine neue Sicht der Dinge auch offensiv unters (Fach)Volk. Am vergangenen Mittwoch beispielsweise klingelten der Hamburger Sektion der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (DVWG), darunter Hafenlobby, Baubehörde, Handelskammer, HVV, Spediteure, Verkehrswissenschaftler, so richtig die Ohren, als Kossak in kühnen Strichen seine Vision von der zukünftigen Straßenbahn-Metropole Hamburg entwickelte.

Kossaks Ausgangspunkt: Hamburg ist die dörflichste Millionenstadt der Welt. Nur auf fünf Prozent ihrer Fläche ist sie wirkliche Metropole, sprich „urban und kompakt“. Die Vergleichszahlen imponieren: 1939 wohnten in Hamburg auf 32 Prozent der heutigen Fläche 1,85 Millionen Menschen. Berlin bringt pro Hektar doppelt soviele Menschen unter, Wien kommt – bei mit Hamburg vergleichbarer Bevölkerungszahl – auf gerade mal 25 Prozent der Hamburger Straßenkilometer. Übrigens ist die dünne Besiedlung Hamburgs auch ein Grund, warum die taz zehn Jahre brauchte, um wenigstens in Teilen der Stadt einen funktionstüchtigen Trägerdienst aufzuziehen. Paris schließlich ist gar zwölfmal dichter bebaut als Hamburg.

Kossak folgert messerscharf: „Der Boden ist für uns offenkundig überhaupt nichts wert.“ Das ist nicht nur ökologisch teuer. Auch die Stadtkasse blutet. Kossak: „Pro Einwohner müssen wir 3,8 mal mehr Straßen- und Leitungsinfrastruktur vorhalten als beispielsweise Wien. Das können wir uns nicht mehr lange leisten.“ Flächenfraß auch beim Gewerbe: „Eingeschossige Schuhkartons“, so Kossak, „und 30 Hektar an einer einzigen Stelle im Hafen, um ebenerdig Autos zu parken – das ist Wahnsinn.“ Und schon beinahe kokett in Richtung Wirtschaftsbehörde: „Wir stellen dem Gewerbe jedes Jahr 30 Hektar frisch erschlossene Fläche zur Verfügung, verlieren aber jedes Jahr vier Prozent Arbeitsplätze in diesem Sektor.“

Öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere S-, U- und Straßenbahn rechnen sich um so eher, je dichter eine Stadt besiedelt ist. Hamburgs flächenfressendes Wohnen, Arbeiten und Konsumieren führt zu Effizienzproblemen beim ÖPNV und einer ungeheuren Autolawine, die unglaublich viele Kilometer zurücklegt. Und schließlich: „Wir opfern viel zu viel Fläche mitten in der Stadt für den internationalen Gütertransport, der mit unserem Leben und unserem Wirtschaften kaum etwas zu tun hat.“ Diese Verschwendung, sichtbar unter anderem im Hafen und am Schwerlastverkehr mitten in der Stadt – Kos-sak: „Haben Sie schon mal in Paris und London einen 40-Tonner mitten im Zentrum erlebt?“ –, bedroht Hamburgs Zukunftschancen.

Kossak geht sogar noch einen Schritt weiter: „Es gibt keine Chance für die europäische Stadt, mit dem Individualverkehrsmittel heutigen Zuschnitts zu überleben.“ Der Metropolenliebhaber hat da keine Verlustängste: „Ich habe keinen Führerschein!“ Raunen unter Hamburgs Verkehrselite und ein frech-falsches Zwischenmurmeln: „Der ist wohl bei der Prüfung durchgefallen.“

Was tun? Zum Beispiel Trauerarbeit leisten: „Es ist ein absolutes Unglück“, schimpft der Oberbaudirektor, „daß Stadtentwicklung und Verkehr behördlich auseinandergerissen wurden.“ Zum Beispiel das Prinzip Hoffnung: „Die Stadtentwicklungspolitik baut darauf, daß wir in den nächsten zehn Jahren wieder eine Straßenbahn bekommen.“ Zum Beispiel nüchterne Politikkritik: „Natürlich brauchen wir eine regionale Politik. Aber: Die Zusammenarbeit in der Region funktioniert noch überhaupt nicht. Das wird mindestens noch zehn Jahre dauern.“ Oder auch Tabus attackieren: „Es ist undenkbar, die 7500 Hektar des Hafengebietes auf Dauer aus der Stadtentwicklungspolitik auszuklammern.“

Aber, Hamburgs oberster Stadtbildbastler kann mehr als analysieren und klagen. In puzzeliger Feinarbeit haben sich seine Jungs und Mädels in den vergangenen Monaten über den Bezirk Wandsbek hergemacht. Die Aufgabe: Platz für „Nachverdichtung“, sprich Wohnungen, finden. Und – die MitarbeiterInnen wurden fündig. Allein in Wandsbek, so lautet ihr Ergebnis, ist Platz für mehrere 10.000 neue Wohnungen. Aufstocken, Lücken schließen, Kleingärten verlagern – und all dies auf die bereits vorhandenen Schnellbahnachsen konzentriert. Kossaks neue Stadtmathematik: Verdichten + Straßenbahn – (Autos + LKWs) = Metropole.

Das Stadtentwicklungskonzept, welches Kossak & Co. im Augenblick noch in der Mache haben – es soll im kommenden Frühjahr vorliegen –, wird zeigen, ob Kossaks Weisheiten auch auf die Ebene von Leitbildern und Flächennutzungsplänen durchsickern. Bis dahin heißt sein Wort zum Sonntag: „Die zentrale Aufgabe der nächsten 20 Jahre heißt: Wir müssen rationeller mit dem Boden umgehen.“