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Erst beim Aufbruch Stimmung

Auf der Suche nach Veränderung tappt der Deutsche Sportbund nach seinem Bundestag trotz neuem Präsidenten Manfred von Richthofen mutmaßlich weiter im dunkeln  ■ Aus Timmendorfer Strand Peter Unfried

Im frühwinterlichen Morgennebel draußen wienerten fleißige Hände die glänzenden Schaufenster edler Boutiquen an der Timmendorfer Kurpromenade noch etwas blitzeblanker. Ein paar Schritte weiter im Park des Maritim Seehotels setzte ein Dobermann einen veritablen Haufen in das tauverhangene Grün. Nun mag man an der symbolisch-metaphorischen Kraft dieser Bilder berechtigte Zweifel anmelden. Sagen läßt sich aber, daß man einerseits drinnen, beim Jahrestag des Deutschen Sportbundes (DSB), fleißig am Polieren war. Und daß andererseits das, was am Ende herauskam, nicht unbedingt glänzend zu heißen ist.

Einen neuen Präsidenten hat man, das ist wahr, den Berliner Manfred von Richthofen (60), ein vormaliger Vize. Überraschend mag allenfalls die deutliche Zustimmung für den Alleinkandidaten sein (er erhielt 598 Ja- bei 8 Gegenstimmen und 15 Enthaltungen).

Auf die „Suche nach Aufbruchstimmung“, wie Peter Kapustin, Bayer, Professor und wiedergewähltes Präsidiumsmitglied/Breitensport das formulierte, hatte man gehen wollen. Die Lage des Sports neu bestimmen, in diesen gar nicht einfachen Zeiten zwischen den drängenden Riesen Politik und Wirtschaft. Ob man sich tatsächlich auf die Suche gemacht hat? Die Antrittsrede des Kampfflieger-Neffen von Richthofen, sie kam in schneidigem Design daher, versuchte neben obligatem vaterländischem Pathos auch neues Selbstbewußtsein zu vemitteln. Nicht nur gegen die Wirtschaft, auch gegen den (mit 340 Millionen pro Jahr) Hauptsponsor Innenministerium ritt der Freiherr forsch eine Attacke. „Wir werden uns nicht damit abfinden“, sprach von Richthofen, „als medaillendekorierte Bühne für publikumswirksame Auftritte zu gelten.“ Oder auch als „nach Lust und Laune entbehrliche Nebensache“.

Mehr als eine Finte mag das nicht gewesen sein. Der Kanzler Kohl hat den 24,4 Millionen DSB- Mitgliedern jedenfalls in sympathischer Offenheit klargemacht, was er von ihrem Verband hält: Er hatte Wichtigeres zu tun und ließ über den Chef des Bundeskanzleramts „herzliche Grüße“ übermitteln. Das freute das einfache CDU- Mitglied von Richthofen dennoch, weil er darin ein Signal zu erkennen meint. Friedrich Bohl, glaubt er, sei als potentieller Nachfolger des sportspröden Kanthers ein prima Ansprechpartner. Außer guten Worten mochte Bohl allerdings nichts geben, sah wohl „gute Grundlagen für einen gemeinsamen Aufbruch“ gelegt, erklärte aber das sehnlichst gewünschte, „Goldener Plan Ost“ geheißene Rettungskonzept der sportiven Infrastruktur im Osten elegant illusorisch zur „Aufgabe der Länder und Gemeinden“. Im übrigen verwies er auf die Wirtschaft.

Und die? Wenigstens Matthias Kleinert (56), Vorstandssprecher von Daimler-Benz, gönnte sich das Vergnügen, dirigierte den kompletten Zeitplan um und schwebte im Firmenjet ein, um die Delegierten in einem halbstündigen Crashkurs mit den elementaren Prinzipien der Marktwirtschaft vertraut zu machen. Auch sein Credo: Change. „Wie“, kam Kleinert, gerade zurück aus Südafrika, wo er mit den Firmenchefs Reuter und Schrempp die dortige Olympiabewerbung diskutierte, zum entscheidenden Punkt: „Wie kriegen wir diese Aufbruchstimmung?“ Die enttäuschende Auflösung: „Ich hab' die Antwort nicht.“ Nachdem dem Sport erklärt war, wie er in Zukunft zu funktionieren habe, eilte der „liebe Matthias“ (der scheidende DSB-Vize Graf Landsberg-Velen), für den die Welt erklärtermaßen ein global village ist, beifallumrauscht an einen anderen Ort. „Die Visionen“, so befahl Kleinert, „muß der Sport selbst entwickeln.“

Diese Visionen, aber, das hat der nach acht Jahren scheidende Ex-Chef und nunmehrige DSB- Ehrenpräsident, der brave Glücksburger Hans Hansen (68) gesagt, „bestehen derzeit darin, die Gegenwartsprobleme des Sports zu bewältigen“. Das sind die Sportstätten, speziell die maroden im Osten, das meint die vage gelungene Vereinigung mit dem Sportbund (DTSB) der DDR. Der Situation trägt man vorgeblich mit dem neuen Vizepräsidenten Hans- Georg Moldenhauer Rechnung, den sein mächtiger DFB-Chef Egidius Braun dem DSB freundlich, aber bestimmt zur Wahl anempfohlen hatte. Den Kicker wollte zwar selbst der Osten nicht so recht, doch hatte man einen Besseren nicht. Der vormalige Ost-Vize, Sachsens LSB-Chef Andreas Decker, ging „aus Gesundheitsgründen“ (von Richthofen), eigentlich zähneknirschend, auch das ein stimmiges Bild für die Gemütsverfassung der Ostfunktionäre.

Aber: „Ostdeutsche“, sagt von Richthofen, „ich kann' s nicht mehr hören.“ Der Mann , der sich selbst mutmaßlich eher zu Unrecht qua seines Berlinertums gesamtdeutsch dünkt, will die Teilung sprachlich aufheben und nur mehr von „Bundesdeutschen“ reden. Dabei scheint weniges weiter entfernt als das Vermächtnis Hansens, „daß der Sport eine Solidargemeinschaft“ sein möge.

Nichts treibt stärker als die eigenen Befindlichkeiten. Wenn also Walther Tröger, als NOK-Vorsitzender Mitglied des DSB-Präsidiums, sagt, er könne „mit der Rede leben“, die Kleinert gehalten hatte, und jene gar „entkrampfend“ finden, dann mag das stimmen. Und wenn er sagt: „Ich habe ihn nicht eingeladen“, dann kann man das als schlichten Hinweis auf seine Nichtzuständigkeit werten. Muß man aber nicht. Und wenn von Richthofen als Motto nennt: „Wir wollen uns gemeinsam Mühe geben“, dann kann man das auch auf das Verhältnis DSB und NOK ausdehnen. Muß man aber nicht.

Was aber kann der neue Mann tun? Sehen, ob das maßvoll verschlankte Präsidium (von 19 auf 11) tatsächlich, wie von Kleinert verlangt, von Richthofen beschworen, effektiver arbeiten wird. „Den Versuch unternehmen“, den Sport, „klarer als bisher zu artikulieren.“ (Richthofen) Aber: Hat der Sport, diese Frage hat man Freitag in einem Arbeitskreis gestellt, dafür die richtige Sprache? Und: Selbst wenn, hört irgend jemand zu?

Während im großen Saal des Tagungshotels ein leuchtender Baum vom Nahen großer Freude Kunde gab, verhallten die letzten Worte des Präsidenten bereits in leeren Reihen. Der Meereswind hatte den Nachmittagshimmel vollends neblig grau verhangen. Kurz angebunden plötzlich eilten die Delegierten mit dicken Taschen zu der langen Reihe aufgefahrener Taxen. Tatsächlich: Zum ersten Mal an diesem Wochenende spürte man deutlich so etwas wie Aufbruchstimmung.

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