: Ein Krieg „Rußland gegen Rußland“
■ Eine Delegation der russischen Staatsduma bringt aus Tschetschenien zwei verwundete Kriegsgefangene zurück / Regierung bildet Verhandlungskommission
Moskau (taz) – Zusammen mit zwei verwundeten russischen Soldaten ist eine Delegation des russischen Parlaments nach zweitägigen Gesprächen mit dem tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew am Samstag nach Moskau zurückgekehrt. Die Soldaten waren – neben rund 70 anderen – beim Sturm auf Grosny Anfang letzter Woche von Dudajews Leuten gefangenengenommen worden. Dieser hatte Moskau aufgefordert, den Status der Gefangenen als reguläre Angehörige der russischen Armee einzugestehen. Dann würde man sie wie gewöhnliche Kriegsgefangene behandeln. Präsident Jelzin sprach daraufhin in einer nicht direkt an Grosny gewandten Stellungnahme von „unseren Soldaten“, während das Verteidigungsministerium und das Föderale Sicherheitskomitee (FSK), der ehemalige KGB, bei der Version blieben, die Gefangenen seien einfache Söldner.
Einer der Rückkehrer, der Panzerfahrer Dimitrij Wolfowitsch, gab zu, mit dem FSK einen Vertrag über „eine Operation zur Einnahme Grosnys in Höhe von sechs Millionen Rubel“ abgeschlossen zu haben. Im Falle seines Todes hätte seine Familie 150 Millionen Rubel (50.000 US-Dollar) erhalten. Auch hätte man ihn gefragt, ob er nach der Operation weiter in der Armee dienen wolle.
Der Leiter der Duma-Delegation, Sergej Juschenko, bewertete die Reise nach Grosny positiv. Man habe den Eindruck gewonnen, „mit Hilfe von Gesprächen lassen sich Ergebnisse bei der Lösung des tschetschenischen Problems erreichen“. Die ehemalige russische Sozialministerin Ella Pamfilowa äußerte sich unverblümt zu den russischen Gefangenen: „Man hat diese Jungens einfach abgeschrieben.“ Armut habe sie in diese Kriegshandlungen hineingezogen. „Mir tun unsere Soldaten aufrichtig leid. Sie sind in äußerst deprimierter Verfassung.“
Während Moskau seine Truppenpräsenz an der Grenze zu Tschetschenien am Wochenende weiter erhöhte, bildete die Regierung zugleich eine Verhandlungskommission. Sie appellierte an die tschetschenischen Kriegsparteien, Gespräche aufzunehmen; möglich wäre der Abschluß eines „Grundsatzabkommens“ über die russisch-tschetschenischen Beziehungen. Die Opposition gegen Dudajew ist sich jedoch über die Forderung nach einer russischen Intervention nicht einig.
Der Abgeordnete Wladimir Lyssenko verlangte im Namen der Delegationsmitglieder die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die „den ganzen Mechanismus der Vorbereitung und Durchführung“ des Angriffs auf Grosny aufklären soll. Skeptisch über das russischen Vorgehen im Kaukasus äußerte sich auch der liberale Deputierte Anatolij Schabad: Auf die tschetschenische Opposition zu setzen, hat sich als unbrauchbar erwiesen. Selbst wenn die Einnahme Grosnys erfolgreich gewesen wäre, hätten sich die Anhänger Dudajews in die Berge zurückziehen und einen Partisanenkrieg eröffnen können. Und sogar der Vertreter der Ultranationalisten um Schirinowski gab zu, „bestimmte Kräfte in Moskau“ heizten den Konflikt an. „Dieser Weg treibt das Land in einen langwierigen Bürgerkrieg. Weder das tschetschenische Volk noch wir brauchen das. Das ist Krieg Rußland gegen Rußland.“ Klaus-Helge Donath
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