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Dünne Stadtluft

■ Von über 100 alternativen Stadtmagazinen sind nur noch knapp zwei Dutzend am (selbstausbeuterischen) Leben

1981 waren sie angetreten, um die Münsteraner Stadt-Oligarchie aus Kirche, Christdemokratie und kleinkariertem Konservatismus aufzumischen. Und ausgerechnet jetzt, pünktlich zum historischen Machtwechsel, als im Oktober Rot-Grün der 45jährigen CDU- Herrschaft im Rathaus ein vorläufiges Ende setzte, ging der medialen Opposition die Luft aus. Nach 13 Jahren gaben die Stadtblatt-MacherInnen auf. Es fehlte nicht nur an Auflage. „Für den Monat September waren gerade mal zwei Seiten überregionale Anzeigen geschaltet. Wie soll man damit ein Heft machen?“ fragte sich Geschäftsführer Hucky Herzig.

Eine Frage, die nicht nur ihm Kopfzerbrechen bereitet hat. Lokale Titel haben in mittelgroßen Städten bis zu 70 Prozent ihrer überregionalen Anzeigen eingebüßt. Tip Siegerland (gegründet 1980), die Stadtzeitung für Freiburg (1976) oder die Stattzeitung Kassel (1976) sind nur einige, die mangels Auflage und Anzeigen bereits den Griffel abgegeben haben. Von den bundesweit über 100 kommunalen Blättern, die im Schoße der neuen sozialen Bewegungen herangewachsen waren, konnten sich nur knapp zwei Dutzend am Markt halten, darunter die Kölner StadtRevue, der Düsseldorfer Überblick und die Bonner Schnüss.

Getragen von lokalen Bürgerinitiativen, Bürgerrechtsbewegungen, Anti-AKW-, Ökologie- oder Frauengruppen, wollten die GründerInnen der etablierten Presse vor Ort eine „Öffentlichkeit von unten“ entgegensetzen. Eigenwillig layoutet, aufmüpfig und frech wurden journalistische Gepflogenheiten bewußt über den Haufen geworfen und sprachliche Konventionen durchbrochen. Gegenöffentlichkeit und Betroffenheitsjournalismus hatten sich die BlattmacherInnen auf ihre Satzfahnen geschrieben. Unabhängig wollten sie sein, nicht parteigebunden, aber doch Partei ergreifen und vor allem eigene Themen plazieren.

Mit dem „Zeitgeist“ der achtziger Jahre, dem Rückzug sozialer Bewegungen und nicht zuletzt dem Einzug der Grünen in die kommunalen Parlamente machte das Zauberwort der Professionalisierung auch vor den Alternativen nicht halt. Der Serviceanteil wurde hochgeschraubt (Wo gibt's den besten Wein, leckersten Fisch, saubersten Badesee?), der Veranstaltungskalender zum Herzstück erklärt; Kinokritiken und Buchrezensionen gehörten fortan zum festen Bestand des Kulturteils – und das alles schön bunt verpackt in grafisch ausgefeilte Layouts. Vierfarbige Titelgeschichten gaben zwar äußerlich mehr her, verloren aber auch an politischem Biß.

Die erfolgreichen Metropolentitel einmal ausgenommen, sind es oft nur drei oder vier RedakteurInnen, die – weit unter Tarif bezahlt – das 14täglich oder monatlich erscheinende Heft mit Hilfe freier Mitarbeiter füllen müssen. Ex- Stadtblatt-Redakteur Jürgen Kehrer meint, das Münsteraner Magazin sei zunehmend ein „Durchlauferhitzer“ geworden, in dem man sich die „journalistischen Sporen für die weitere Karriere verdienen konnte“. Die meisten Stadtmagazine beklagen die hohe Fluktuation in den Redaktionsstuben. Kompetenz in der Berichterstattung ist so nicht zu halten.

Gerade in der lokalen Verankerung liegen jedoch die Zukunftsperspektiven der Stadtblätter, so das Fazit von Dr. Nadja Büteführ, die im Rahmen ihrer Forschungen an der Universität in Münster die „Lokale Alternativpresse 1970 – 1993“ untersuchte. Büteführ beobachtete eine „Kommerzialisierung, Entpolitisierung und gewachsene Kulturorientierung“ in den Alternativblättern, die „ihren Glaubwürdigkeitsbonus verspielen sowie ihre Stammleserschaft aus alternativer Vergangenheit verprellen, wenn sie sich von politischen Themen abwenden [...] und die Angleichung an die Kommerzprodukte im Sinne einer affirmativ-kulturell- bunten Berichterstattung weiter forcieren“.

Einzig der Kölner StadtRevue attestiert sie „noch erstaunlich viele publizistische Prinzipien aus alternativer Vergangenheit“. Selbiges gilt auch für das Bielefelder Stadtblatt, das sich trotz umsonst verteilter Konkurrenz vor Ort am Markt behaupten kann, sogar im schlichten Tageszeitungsformat. Bei einer stagnierenden Auflage von 6.500 verkauften Exemplaren und ohne überregionale Werbung funktioniert aber auch das nur zu selbstausbeuterischen Konditionen.

Die gehörten für die Münsteraner Stadtblatt-Macher ebenfalls zum Alltag. Trotzdem erreichte die Deckungslücke sechsstellige Höhen. Von den finanziellen Engpässen erfuhr die LeserInnenschaft allerdings erst in der letzten Ausgabe. Zu spät, wie Ex-Redakteur Christoph Georg Schulte heute meint. Selbstkritisch räumt er ein: „Man hat sich jahrelang auf den eigenen Nimbus zurückgelehnt. Wir sind das Stadtblatt, und das kennt man ja. Wir haben uns größer gefühlt, als wir eigentlich waren.“ Anke Bruns

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