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Nichts ist leichter, als Drogengeld zu waschen

Rußlands Bankensystem ist der ideale Nährboden für Finanzbetrügereien / Verbrecherorganisationen fühlen sich magisch angezogen / Richter befürchten, daß die Mafia bis in Regierungskreise vorgedrungen ist  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

„In Tibet geht es moderner zu“, stöhnt ein Brite, Marke Kolonialoberst, in der Schalter-Schlange der russischen Außenhandelsbank. Hilflos verfolgt er, wie die hübschen Angestellten in Schönschrift und Schneckentempo alle Überweisungen in riesigen Kladden verzeichnen, derengleichen man in Hanse-Kontoren benutzt haben mag.

Solche Szenen haben sich täglich in Moskau abgespielt, bevor 1992 die ersten russischen Privatbanken gegründet wurden. Inzwischen gibt es 2.000, aber noch immer ist die russische Zentralbank nicht voll computerisiert. Statt dessen entwickelte sich das vorsintflutliche russische Banksystem – verstärkt durch lasche Gesetzgebung und fehlende Kontrollen – zum idealen Humus für Finanzbetrügereien aller Art. Viktor Agejew, Mitarbeiter der Hauptverwaltung für Wirtschaftsverbrechen im Moskauer Innenministerium, gibt der Regierung die Schuld an der wachsenden Korruption: Parlament und Regierung gehorchten Kräften, die weder an der Verabschiedung eines Gesetzes gegen Geldwäsche noch an einem wirksameren Antikorruptionsgesetz oder einer Regelung des Geldmarktes wirklich interessiert seien. Während der Westen der russischen Staatskasse Dollar-Kredite in Milliardenhöhe gewähre, flössen aus ihr Summen in vergleichbarer Größenordnung durch Finanzbetrügereien wieder ab.

Rote Zahlen und schwarze Tage bescherte den neuen und alten russischen Banken im Sommer 1992 die Aviso-Brief-Affäre. Damals brauchten Überweisungen mehrere Monate, auch zwischen Unternehmen in ein und derselben Straße. Schuld daran war eine Zentralbank-Erfindung: die Rechnungs- und Kassenzentren (RKZ), die überall in den Städten Rußlands wie Pilze aus dem Boden schossen und direkt der Zentralbank unterstanden. Noch heute sollen sie den Geldverkehr zwischen Staat und Unternehmen sowie den Unternehmen untereinander kontrollieren. Die RKZ bremsten den Geldverkehr fast bis zum Stillstand. Um ihre KundInnen überhaupt bedienen zu können, nahmen die Banken zu Überweisungen mit Aviso-Briefen Zuflucht: Diese stellen im Grunde nur eine Bestätigung für die auszahlende Bank dar, daß das dem Empfänger auszuhändigende Geld bei der Absenderbank wirklich eingegangen ist.

Und so lief im neuen Rußland ein klassischer Aviso-Betrug ab: Da betritt jemand irgendeine Bank – sagen wir im fernöstlichen Chabarowsk – und fragt eine Angestellte, ob sie nicht ein bißchen dazuverdienen möchte. Ist die Betreffende einverstanden, schickt irgendein nichtexistierendes Unternehmen ein nicht gedecktes Aviso an irgendeine Firma – sagen wir in Moskau. Eine Weile danach erhält die Chabarowsker Bank eine Anfrage aus Moskau, ob mit dem Aviso auch alles in Ordnung sei, was die Angestellte natürlich bestätigt. Nicht allzu lange darauf fließt das Geld von der Zentralbank auf das Girokonto des Empfängers: was zu erreichen war. Der Empfänger hebt die Summe in bar ab und trennt sich auf Nimmerwiedersehen von seinem Geschäftspartner.

Die eigentlichen Drahtzieher dieser Machenschaften wurden fast nie gefunden, dafür aber die kleinen Fische. Die stammten zumeist aus Machatschkala, der Hauptstadt der zur Russischen Föderation gehörenden Berg- und Zwergrepublik Dagestan. Bei einem einzigen der dortigen Anklagefälle ging es um 30 Milliarden Rubel, die an über achthundert Scheinfirmen überwiesen worden waren. Ein Teil der armen Bergbevölkerung erfüllte sich dank dieser Affäre langgehegte Herzenswünsche. So erhielt die Buchhalterin des dortigen RKZ für ihre Dienste einen japanischen Kassettenrecorder, einen Brillantring und eine Küchengarnitur.

Die Verluste der russischen Banken durch solche Operationen insgesamt lagen in den Jahren 1992 und 1993 bei über 2 Billionen Rubel (nach damaligen Kursen etwa 1 bis 1,5 Mrd. US-Dollar).

Alle unabhängigen Experten sind sich einig, daß an den Fällen von großangelegtem Bankbetrug mit Sicherheit führende Angestellte der Zentralbank beteiligt gewesen sind. Der Mitbegründer der „Russischen Waren- und Rohstoffbörse“, Konstantin Borowoj, dementierte kürzlich Presseberichte, denenzufolge er gesagt haben soll, man müsse bei der Zentralbank für die Lizenz zur Einrichtung einer Privatbank 2 Millionen Rubel (zum gegebenen Zeitpunkt 2.900 DM) Bakschisch zahlen. Borowoj nannte solche Zeitungsberichte für die Beamten der Zentralbank „beleidigend“, da die genannte Summe „lächerlich gering“ sei. Bei einer privaten Umfrage bei Bankdirektoren habe er vielmehr festgestellt, daß das niedrigste Schmiergeld in solchen Fällen bei 12.000, das höchste bei 80.000 US- Dollar gelegen habe.

Als renommierter Zeuge äußerte sich zu den Praktiken der Zentralbank auch Garegin Tosunjan, Präsident der „Technobank“ und Vorsitzender des „Interbank Finanzierungshauses“. Die solide finanzielle Grundlage der letzteren Vereinigung bezeugte Ende 1992 die internationale Consulting- Firma Arthur Andersen. Tosunjan sieht die kommerziellen Banken als Opfer der Zentralbank, weil ihnen direkte Abrechnungen untereinander verboten sind. Im Detail beschreibt er: „Alles muß über die Zentralbank laufen. Die Anweisung wird aus der kommerziellen Bank in das örtliche RKZ weitergeleitet, und danach entzieht sich der Vorgang jeglicher Lenkung. In Moskau kann das Geld letzten Endes wer weiß wo landen, es kann aber auch überhaupt nirgendwo landen, weil irgend jemand die entsprechenden Formulare einfach in einen Sack geworfen hat. Wenn Sie dann nachfragen und die Ausgangsdaten der Überweisung nennen, so antwortet man Ihnen: Von der Sorte haben wir hier viele, aber die Zeit reicht dafür nicht. Dann sagen wir: Hör mal, für die Verzögerung wirst du blechen müssen, also find unser Geld! Dann beginnt eine aufwendige Aktivität: Der Beamte schmeißt zehn Säcke hin und fängt an, im elften herumzuwühlen. Das ist das reinste Chaos.“

Nicht nur durch Schaffung der RKZ begünstigte die Politik der Zentralbank Betrügereien im Banksektor. Für das Schattenkapital ergab sich 1993 eine segensreiche Möglichkeit, Einkünfte zu legalisieren. Die Zentralbank verpflichtete jede kommerzielle Bank, bis zum Stichtag 1. Juli ihr Grundkapital auf 100 Millionen Rubel aufzustocken. Viele arme kleine Banken in der Provinz konnten sich dies nur leisten, indem sie sich von der Schattenwirtschaft helfen ließen.

Nach Schätzungen der Weltbank werden mindestens eine Milliarde Dollar pro Monat aus Rußland ins Ausland überwiesen. Einen bedeutenden Anteil davon leiten russische Banken weiter. Zielort ihrer Operationen sind häufig die baltischen Staaten. Die größte lettische Bank „Pareks“ rühmt sich zum Beispiel 10.000 russischer Kunden, wovon die meisten Firmen sind. Selbstverständlich sind nicht alle diese Gelder mafiosen Ursprungs. Für russische Kriminelle, die ihre Einkünfte aus Drogenhandel oder Prostitution zu waschen wünschen, ist der Weg ins Ausland keineswegs obligatorisch. Dafür brauchen sie daheim angesichts der dostojewskischen Spielwut des eigenen Volkes nur ein Kasino zu gründen oder eine Devisen-Wechselbude. Für deren Einrichtung war – außer den nötigen Schmiergeldern für die Miliz – bis vor kurzem nichts erforderlich als eine Lücke zwischen zwei Kiosken und ein Prachtkerl mit einer bedrohlichen Beule an der Hüfte, der sich daneben auf seinen muskulösen Hintern setzte.

Anders sieht die Sache bei finanziellen Mitteln aus, die direkt aus dem offiziellen Geldverkehr geraubt wurden, deren Herkunft darum zu verschleiern ist. Im Ausland werden sie sehr schnell von Konto zu Konto einer Kette fiktiver Firmen verteilt. Danach verschwinden die Scheinfirmen. Das Geld wird nun dank getürkter Außenhandelsverträge in konvertierbare Währungen umgetauscht und über Off-shore-Gesellschaften ins Ausland überwiesen. Bisweilen nehmen auch Scheinfirmen Kredite bei einer Privatbank mit Hilfe der Bürgschaft einer anderen Privatbank auf und entmaterialisieren sich dann. So verlor die Moskauer Techno-Banko 140 Millionen Dollar ins Ausland.

Andere Transportmethoden bezeugen großen Erfindungsgeist. Voriges Jahr kam ein russischer Bürger auf die Idee, einen Koffer voller Air-Canada-Tickets zu erwerben. Damit flog er nach Toronto, gab sie als unbenutzt zurück und ließ sich den Preis erstatten. Auf diese Weise hatte er sich gleichzeitig an den bisher bedeutendsten ausländischen Tatort der russischen Finanzmafia katapultiert.

Im Oktober 1993 erschien in der Tageszeitung Toronto Star ein Artikel der Journalistin Jeniffer Gold. Es ging um einen Betrugsfall von historischen Dimensionen: Fünf führenden amerikanischen Banken waren 150 Milliarden Dollar in Obligationen und Aktien abhanden gekommen. Aus den Reihen in Toronto tätiger russischer Untersuchungsrichter verlautete, der ganze Coup sei von der italienischen Mafia geplant und von einem russischen Mafia-Netz mit Zentrum in Wien ausgeführt worden. Da zogen plötzlich russische Obligationen in Kanada ihre Kreise, und amerikanische wanderten nach Palermo.

1992 wurde die amerikanische City-Bank mit 750.000 Dollar Strafe belegt. Sie zahlte ohne Murren und weigerte sich, den Sachverhalt zu kommentieren. Passiert war folgendes: Wenn eine beispielsweise vom Staat ausgegebene Obligation wieder eingelöst worden ist, muß sie unbedingt vernichtet werden. Mitte der 80er Jahre beauftragten fünf amerikanische Banken entsprechende Firmen, dies zu erledigen. Mindestens eine davon, die MSM Corp., erfüllte ihre Verträge nicht. Von der City-Bank hatte sie Obligationen im Buchwert von 111 Milliarden Dollar zur Vernichtung bekommen. Ein mit der Sache betrauter Privatdetektiv kam zu dem Schluß, einige osteuropäische Banken hätten sich offenbar mit Hilfe von Anleihen aufgrund dieser „schmutzigen Wertpapiere“ gegründet. Russische Untersuchungsrichter vermuten, daß dieser Coup von der italienischen Mafia geplant und einem russischen Mafia-Netz mit Zentrum in Wien ausgeführt worden sei.

Jules Aviv, ein New Yorker Privatdetektiv, der sich ebenfalls mit der Angelegenheit befaßte, sagte zu Gold: „Das kann die Angelegenheit des ganzen Ostblocks erschüttern. Die amerikanische Regierung hat in dieser Angelegenheit bisher auf äußerste Geheimhaltung geachtet – weil sie sich vor einer Katastrophe im Bankapparat Jelzins fürchtet.“ Auf den Bericht des Toronto Star erfolgte bis heute kein einziges Dementi.

Die russische Gesetzgebung verpflichtet die Banken bisher nicht, ihre Kunden zu überprüfen und Verdachtsmomente an die Sicherheitsorgane weiterzuleiten. Die Tageszeitung Kommersant berichtete kürzlich, daß eine ganze Reihe von Banken, bei deren Gründung dem Wissen der Redaktion zufolge Gruppierungen des organisierten Verbrechens ihre Hand im Spiel hatten, sich bei Geldwaschaktionen mit ihren Gründern den Gewinn der Operationen teilen. Andrej Kosnjakow, Vizepräsident der größten privaten russischen Detektivfirma „Aleks“, lancierte im Mai in der Iswestija einen Aufruf, in dem er mit der Schilderung solcher Aktionen beginnt. Weiter heißt es darin: „Zu diesem Zweck schleust das organisierte Verbrechen mit Hilfe von Gewalt, Erpressung und Bestechung seine Repräsentanten in staatliche Verwaltungsorgane und finanzielle Einrichtungen ein und sichert deren Karriere nach oben in diesen Strukturen ab.“ Kosnjakow meint, in der Geschäftswelt seien diese Prozesse schon so gut wie abgeschlossen, in der Politik nur die höchsten Posten noch nicht gekauft. Falls nicht entschiedene Gegenmaßnahmen getroffen würden, stammten bald auch schon die ersten politischen Führer auf regionaler Ebene aus den Reihen der Mafia.

Der Chef der russischen Hauptverwaltung des Innenministeriums für Wirtschaftsverbrechen, Michail Serdjuk, schickte Ende Juli einen Brief an die russische Regierung, in dem er sie bat, der Straßburger Konvention gegen Geldwäsche beizutreten.

Während die Reaktion noch auf sich warten läßt, haben Serdjuks Leute schon einen Kontrakt mit ihren Schweizer Kollegen geschlossen: Russischen Untersuchungsrichtern soll künftig bei schwerwiegenden Verdachtsmomenten in bereits laufenden Gerichtsverfahren ein Einblick in Schweizer Konten gewährt werden. Die Diskussion über die Absicherung des Geldverkehrs in der russischen Öffentlichkeit ist in Gang gekommen, und die Zentralbank verspricht, die Lücken ihres Computersystems schon Ende des Jahres zu schließen.

Die Fachleute aus dem Innenministerium befürchten, daß die organisatorische Schwäche des russischen Bank- und Finanzgesetzsystems Gelder aus dem internationalen Drogengeschäft und sonstigen mafiosen Einnahmequellen schon heute wie ein Magnet anziehen.

Inzwischen haben ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheitsdienste in Moskau die erste „Agentur für finanzielle Sicherheit“ gegründet. Ihr Direktor, Sergej Aksjonow, äußerte Mitte September die Hoffnung, noch in diesem Jahr ein Koordinationskomitee für die Tätigkeit der russischen Banken und gewisser Regierungsstellen auf die Beine zu stellen. Aksjonow: „Im Gegensatz zu der gängigen Meinung, Staaten fielen durch Putsche, ist mir und meinen Kollegen klar: Machtstrukturen brechen erst dann in sich zusammen, wenn die wirtschaftliche und finanzielle Grundlage ihrer Existenz ausgehöhlt ist.“

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