: Mir fällt kein Text mehr ein
■ Neu im Kino: „Hearts of Darkness“, eine Dokumentation über Coppolas monströsen & konfusen Kriegsfilm „Apokalypse Now“
Manchmal sind die Entstehungsgeschichten von Filmen mindestens so abenteuerlich wie die Kinowerke selbst. „Burden of Dreams“, der Dokumentarfilm über die Dreharbeiten von „Fitzcarraldo“, ist letzlich besseres Kino als Herzogs Dschungeloper, und Clint Eastwood hat sogar mit „White Hunter – Black Heart“ einen (allerdings ziemlich mißglückten) Spielfilm über die Dreharbeiten von John Hustons „African Queen“ gedreht. Aber die tollsten Geschichten wurden immer über die Produktion von Coppolas „Apocalypse Now“ erzählt, und jetzt sind endlich die Aufnahmen zu sehen, die Coppolas Frau Eleanor während der Dreharbeiten in einer Art filmischen Tagebuchs gemacht hat.
Für „Hearts of Darkness“ wurde dieses Material von den Regisseuren Fax Bahr und George Hickenlooper ergänzt durch aktuelle Interviews (u.a. mit George Lucas, Dennis Hopper und John Milius), Ausschnitten aus dem Film und vor allem Filmmaterial, das nicht im Film verwendet wurde. So kann man Szenen von einem Dinner mit französischen Siedlern sehen, die aus einer Sequenz stammen, die komplett aus dem Film herausgekürzt wurde, und in einer perfekten Einstellung mit Marlon Brando sagt dieser plötzlich: „Mir fällt heute kein Text mehr ein.“
Coppolas Film über den Vietnamkrieg kam dem Regisseur „selbst auch wie ein großer Krieg vor“. Nach wenigen Drehtagen feuerte er seinen Hauptdarsteller Harvey Keitel (der als einziger Beteiligter überhaupt nicht in diesem Film zu sehen ist); dessen Nachfolger Martin Sheen erlitt während der Dreharbeiten einen schweren Herzinfakt; ein Taifun zerstörte einen Großteil der Kulissen; und die Zusammenarbeit mit dem philipinischen Militär wurde durch den Bürgerkrieg sehr problematisch. Später mußte sich Coppola mit dem widerspenstigen Brando herumärgern. Bis zuletzt suchte er nach einem guten Schluß für den Film, und ständig plagten ihn Geldsorgen. Und immer war seine Frau mit ihrer kleinen Handkamera dabei, und so sind wir bei all diesen Krisen Coppolla so nah, wie sonst kaum möglich.
Viele dieser Aufnahmen waren freilich nie zur Veröffentlichung vorgesehen. Daß Coppola sich dazu bereit erklärte, in aller Öffentlichkeit so verzweifelt, größenwahnsinnig und erschöpft gezeigt zu werden, sagt auch viel über ihn selbst aus.
Nach „Hearts of Darkness“ sieht man auch „Apocalypse Now“ mit anderen Augen. Deshalb ist es sehr schön, daß die beiden Filme im Kommunalkino direkt nacheinander zu sehen sind. Man erkennt nun, warum der Film oft wie ein Trip wirkt (einige Schauspieler geben recht großkotzig damit an, welche Drogen sie bei welchen Sequenzen intus hatten), man weiß, wie es zu dem irritierenden Anfang mit Sheen im Hotelraum kam (Sheen war so besoffen, daß er sich tatsächlich die Hand am Spiegel blutig schlug), und es stellt sich heraus, daß das so umstrittene Ende des Films das vielleicht einzig mögliche war. Brando war immens fett, wollte so nicht gefilmt werden und deshalb gibt es fast nur Nahaufnahmen von seinem Kopf im Dunkeln. Er weigerte sich den geschrieben Text zu sprechen und so murmelt er nur wenige unzusammenhängenden Worte. Außerdem war er nur für wenige Drehtage verfügbar und deshalb mußte Coppolla improvisieren und zusammenflicken, was er halt so an Material hatte.
„Hearts of Darkness“ erzählt die unglaubliche, absurde und sehr unterhaltsame Geschichte von der Arbeit am großen Kino. Solch einen guten Plot könnte sich selbst Coppola nicht ausdenken.
Wilfried Hippen
Kino 46, Waller Heerstr. 46, Do. bis Sa. 18.30 Uhr
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