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Der Gerechte mit dem Dreitagebart

Gian Maria Volonte, der Spaghettihelden, Aldo Moro und Christus in Eboli spielte, ist tot  ■ Von Mariam Niroumand

Düstere Naturen würden vermuten, daß er keines natürlichen Todes gestorben ist: Der italienische Filmschauspieler Gian Maria Volonte drehte in Florina den Film „Der Blick des Odysseus“, als ein Zimmermädchen den 61jährigen am Dienstag tot in seinem Hotelzimmer fand.

In diesem Film sollte Volonte den Direktor der Filmbibliothek in Sarajewo spielen – eine schöne Rolle für jemanden, der sein Leben lang am liebsten politisches Kino machte. Er hatte sich dieses Leben wohl zunächst als Road Movie gedacht, „La Strada“ in Permanenz, und zog in den Fünfzigern landauf, landab durch Frankreich. Seine Teenager-Lektüre hat man ihm zeitlebens angemerkt: Sartre, Camus, Pavese verbanden sich mit einem gewissen calvinistischen Rigorismus. Zurück aus Frankreich schloß er sich einer fahrenden Truppe an. Unter einem Zelt spielten sie Burlesken, Volonte gab den Eisenbahnkönig, hatte aber bald genug davon und zog nach Rom. Weil die Schauspielschule ihm die Tür vor der Nase zuschlug, verbrachte er einige weitere Wochen als Tramp, las aber auf seinen Parkbänken die Klassiker mit der ihm eigenen Halsstarrigkeit, bis ihn eben wirklich jemand „entdeckte“. In jenen Jahren ging der Neorealismus wie ein Reißverschluß auseinander: sein volkstümlicher Zweig entwickelte sich zur burlesken Komödie, und, mit einem gewissen amerikanophilen Dreh, zum Italowestern; sein politischer Strang beschäftigte sich mit der Lage der Nation; die Tavianis mit der Armut im Süden, Francesco Rosi mit der Mafia.

Volonte reüssierte in beiden Branchen; zuerst aber, einfach weil ihn die Publikumsgunst sozusagen hineintrieb, im Spaghettiwestern, für den er sich eigentlich ein bißchen zu schade fühlte. Das erste Mal tauchte er in größerem Stil in den Zeitungen auf, als er unter dem Pseudonym John Wells in Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“ und konsequenterweise auch in „Für ein paar Dollar mehr“ auftrat, mit einem sinistren Drei- Tage-Bart.

Zugleich zimmerte er an seiner ganz öffentlich-privaten Vorstellung vom couragierten Citoyen, dem Schauspieler mit eigener Zielgerade, der Besseres zu tun hat, als sich stets im Fadenkreuz der Glamour-Industrie zu spreizen – auch in diesem Ekel vor den „weißen Telefonen“ der Schickeria, durchaus auch der betuchteren Intelligenzia, ist er ein Erbe des christlichen Einfachheitsideals des Neorealismus. Prompt schloß er sich, während der Dreharbeiten zu „Ein Bandit aus Mailand“ der Trevo- Campi-Sektion der KPI an und stürzte sich Hals über Kopf in die späten Sechziger. Sogar den eigenen Eklat bekam er: gemeinsam mit der Gravina inszenierte er Hochhuths „Stellvertreter“, und lieferte sich ein Handgemenge mit der Polizei.

Daraufhin zog er sich erstmal zurück; zunächst in ein Schmuddelviertel Roms, wo er mit einer Spraydose herumstrich und maoistische Parolen an die Wände sprühte. Später mußte es weiter weg sein: nach Südamerika, wo er mit Godard drehte. In den Jahren danach wurde er, was man hier von ihm kennt: „Sacco und Vanzetti“ von Montaldo, „Der Fall Mattei“ von Rosi; der düstere, wenig liebenswerte Aldo Moro aus Petris „Todo Mondo“, der noch zu Moros Lebzeiten enstanden war, und der fast heilige Aldo Moro in Ferraras „Der Fall Moro“, der nach der Entführung und Ermordung des Bankiers gedreht wurde.

„Lucky Luciano“, „Christus kam nur bis Eboli“ waren Volontes hierzulande bekannteste Filme – und Franscesco Rosi war der mit Abstand wichtigste Regisseur für ihn. „Er war wirklich einer der größten Schauspieler der Welt,“ sagte Rosi dem Corriere della Sera, „er hätte berühmt werden können wie Marlon Brando, einen Oskar nach dem anderen hätte er abräumen können, aber er wollte nicht. Das hat ihm nichts bedeutet. Er war nicht nur halsstarrig gegen Korruption, die Mafia, die Ungerechtigkeit der Justiz, sondern auch gegen das internationale Showbiz.“ Der Corriere meldet auch, daß Gian Maria Volonte am Ende seines Lebens den Kreis zum Anfang sozusagen wieder geschlossen hat: Auf einem Platz in Velletri habe er ein Zelt aufgestellt, in dem er ein Theaterstück über die Bombenangriffe von 1944 inszeniert hat.

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