Unorte: der Weihnachtsmarkt Von Claudia Kohlhase

Der Weihnachtsmarkt ist ein Raum ohne Grund. Irgendwo soll aber doch ein Weihnachten sein, sagt da jemand. Na und? Es hat noch keiner ein Weihnachten gesehen. Trotzdem stellen sich erwachsene Männer auf den Weihnachtsmarkt und behaupten, ich müßte deswegen ihre Broschenpetersilie kaufen. Kein simuliertes Kraut. Ehrlich echt und goldgetunkt. Und das da vorne ist Gingko, und da hinten handelt es sich um eine Grüneapfelkerze.

Selten hat man solche Grüneapfelkerzen gerochen. Und solche Männer gesehen. Aber auch solche Frauen. So gläubig umrankt. So standhaft durchseelt. Aber so muß es wohl damals gewesen sein, da kann man ja nichts machen. Da steht schon wieder einer. Und da. Da sitzt plötzlich einer und beaufsichtigt ein Weihnachtskarussell mit leeren Weihnachtshubschraubern und Weihnachtseseln, die wie Weihnachtshasen aussehen. Seit wann kann man auf Weihnachtshasen reiten? Auf Weihnachtsmärkten wahrscheinlich. Vielleicht hat es aber auch damals schon Weihnachtshasen gegeben; noch niemand hat ja wirklich ein Weihnachten geschaut. Leider ist nirgends ein Weihnachtsengel und möchte einen behelligen oder leiten. Bloß Nikoläuse, Schwamm drüber. Wer will schon sieben Nikoläuse an den Hacken. Dann lieber noch Weihnachtswürste mit Weihnachtssenf oder Weihnachtspommes mit Weihnachtsketchup.

Am dringendsten möchte ich eigentlich wissen, woher die Socken kommen. Es kann sich nur um die unbekannten Weihnachtssocken handeln, drei Paar zu neunzehn Mark neunzig, weil's doch die Sokken vom lieben Jesulein sind, das auch noch nie jemand gesehen hat und von dem im Grunde keine Socken überliefert sind. Aber von mir aus glaube ich an die Socken. Noch schwergläubiger sind allerdings die Weihnachtshängematten. Ich glaube ganz bestimmt nicht, daß das liebe Jesulein im Stall gehangen hat.

Der Mann mit den Weihnachtsspanschachteln hat etwas hilflos ausgesehen, als ich ihn gefragt habe, ob mit solchen Dosen die Myrrhe ex oriente gekommen ist. Ich glaube eigentlich nicht an die Myrrhe, ehrlich gesagt, ich bin froh, daß ich weiß, wie man Myrrhe schreibt. Hat überhaupt schon mal jemand Myrrhe gerochen? Vielleicht grade mal Weihrauch, als Meßdiener oder beim Pendeln mit Duftlämpchen.

Was ich überhaupt nicht glaube, ist, daß es damals nach gebrannten Mandeln gerochen haben soll. Ich kann mir höchstens vorstellen, daß die Mandeln eine Art Hommage an das Jesulein als gebranntes Kind sind, obwohl ich solche Metaphern schwierig finde. Es ist ja auch nicht überliefert, ob es überhaupt Weihnachtsmandeln gegeben hat. Ich meine, wenn es so war, daß es damals Weihnachtsmandeln gegeben hat, dann sollte man doch froh sein und die Wahrscheinlichkeit von Weihnachten nicht von irgend welchen Mandeln abhängig machen. Es wäre auch kleingeistig. Genau wie bei brandgravierten Brettchen. Oder beim Glühpunsch mit diesen Glühmännern am Tummeltresen.

Es kann einem im Grunde auch egal sein, worauf sich alles bezieht und ob der Weihnachtshase vom Weihnachtskarussell wirklich der Esel aus dem Stall ist. Ich sag ja: Es gibt keinen Grund für einen Weihnachtsmarkt. Und wenn doch, muß es ja nicht gleich Weihnachten sein.