: Was wäre, wenn? – Zwei Szenarien
■ Ein Abzug der UNO-Truppen wäre nicht ohne Sicherung von Nato-Truppen zu verwirklichen / Bloße Luftunterstützung würde wahrscheinlich nicht ausreichen
Was wäre, wenn sich die britischen und französischen Truppen tatsächlich aus Bosnien zurückziehen? Und was wäre, wenn sogar die gesamten UNO-Truppen gehen würden?
Die Truppen Frankreichs und Großbritanniens sind in Schlüsselstellungen in Bosnien stationiert. Die britischen Truppen sichern von Beginn des Einsatzes der UNO-Truppen in Bosnien, also vom Sommer 1992 an, die Zufahrtswege nach Zentralbosnien. Über diese Wege wurde die humanitäre Hilfe in die durch die serbischen Truppen abgeschnittenen Gebiete Zentralbosniens gebracht. Von ihrem Hauptstützpunkt im zentralbosnischen Vitez aus unterhalten die britischen Truppen kleinere Kontingente im zentralbosnischen Bugojno und im ostbosnischen Jelah. Weiterhin sind britische Soldaten in Sarajevo und in der ostbosnischen Enklave Goražde eingesetzt.
Die ursprünglich rund 5.400 Mann französischer Truppen sind vor allem in Sarajevo stationiert. Sie sollen den überlebenswichtigen Flughafen der Stadt sichern. Das über 1.000 Mann starke Kontingent der Franzosen in der Enklave Bihać wurde in diesem Sommer zurückgezogen und durch ein 1.200 Mann starkes, schlecht ausgerüstetes Kontingent aus Bangladesch ersetzt.
Bei einem Rückzug der britischen Truppen aus Zentralbosnien entstünden nach Lage der Dinge keinerlei Probleme für die Sicherung der Straßen nach Zentralbosnien. Die britischen Truppen könnten jederzeit durch andere UNO-Truppen abgelöst werden. Damit bestehen übrigens ja schon Erfahrungen, denn die britischen Einheiten wurden halbjährlich durch andere britische Einheiten ersetzt, ohne daß es zu Schwierigkeiten auf der Route von der kroatischen Küste nach Zentralbosnien gekommen wäre.
Etwas anders ist die Lage in Goražde und für die französischen Truppen im Raum Sarajevo. In Goražde wäre eine Absprache mit der serbisch-bosnischen Führung notwendig. Ein Abzug dieser Truppen könnte zu einer sofortigen Übernahme der Enklave durch serbische Truppen führen, sind doch die Verteidiger Goraždes im April dieses Jahres unter Vermittlung der britischen UNO- Truppen entwaffnet worden. Der Austausch der UNO-Truppen in Goražde wäre also abhängig vom guten Willen der serbischen Seite. Ähnliches gilt für die französischen Truppen am Flughafen von Sarajevo. Denn der liegt nach wie vor im Schußfeld serbischer Truppen.
Es gibt jedoch kaum Veranlassung, zu befürchten, daß die serbische Seite bei einem Austausch der französischen UNO-Truppen aktiv werden würde. Denn an dem Status des Flughafens änderte sich dabei nichts. Nach wie vor wäre er in Händen der UNO und nicht in den Händen der bosnischen Armee. Die UNO-Präsenz auf dem Flughafen hat die Öffnung der Stadt bisher verhindert, denn der Flughafen liegt wie ein Balken zwischen Sarajevo und von bosnischen Truppen kontrolliertem Gebiet.
Das zweite Szenario dagegen wäre sicherlich komplizierter zu bewältigen. Entschlösse sich der UNO-Sicherheitsrat dazu, sämtliche UNO-Truppen (im ehemaligen Jugoslawien insgesamt 45.000 Mann) zurückzuziehen, müßte ihr Rückzug zumindest aus dem Raum Sarajevo und den Enklaven militärisch gesichert werden. Die bosnische Seite wie auch die serbischen Truppen wären dann nämlich geneigt, ihre Postionen sofort zu verbessern, was die Kämpfe augenblicklich anheizen würde. Weiterhin könnte der Abzug der UNO-Truppen aus den von serbischen Truppen besetzten Gebieten in Kroatien zu Reaktionen der serbischen Seite führen, denn Serbien hatte ja 1991 den Einsatz von UNO-Truppen in diesen Gebieten gefordert. Es ist wohl nicht abwegig, zu behaupten, daß mit einem Rückzug der UNO-Truppen aus diesen sogenannten UNPA-Zonen in Kroatien der Krieg in Kroatien wieder aufleben würde – was die abziehenden UNO-Truppen in Bedrängnis führen könnte (direkte Angriffe, Geiselnahmen etc.).
Aus diesen Gründen müßte der Abzug der UNO-Truppen militärisch gesichert werden, was den Einsatz von Nato-Truppen notwendig machte. Ob dies nur mit Luftunterstützung möglich sein würde, darf da bezweifelt werden. Die Ankunft von 2.000 Mann von US-amerikanischen Elitetruppen in der kroatischen Hafenstadt Rijeka läßt darauf schließen, daß der militärische Aufbau für einen solchen Fall schon begonnen hat.
Aus offiziell unbestätigten Geheimdienstquellen geht sogar hervor, daß der Einsatz einer weit größeren Anzahl von Nato-Bodentruppen für einen eventuellen Abzug der UNO-Truppen in Bosnien und möglicherweise in Kroatien für Mitte Januar geplant ist. Würde dann auch noch das Waffenembargo gegenüber Bosnien-Herzegowina aufgehoben, wären weitere kriegerische Auseinandersetzungen zwischen der bosnisch-kroatischen und der serbischen Seite nicht zu vermeiden. Aber, und darauf weisen nicht nur bosnische Regierungsquellen hin, der Einsatz von UNO-Truppen habe den Krieg keineswegs stoppen können. Im Gegenteil habe ihr Einsatz im Einklang mt der Blockade der internationalen Organisationen die Aggression der serbischen Seite nur verdecken helfen. Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen