: Tatsächlich schon so tot?
■ Jahnns 100. Geburtstagsfeier begann mit einer Ausstellung und einem Kammerkonzert
Ausstellung „Hans Henny Jahnn/Fluß ohne Ufer“
Zur Eröffnung der Hans-Henny-Jahnn-Ausstellung kam am Donnerstag Kultursenatorin Christina Weiss in die Räume der Freien Akademie der Künste am Klosterwall. Ihre kluge Rede ließ unter der Oberfläche der Politikerin die Literaturwissenschaftlerin in ihr deutlich durchblicken. Dann aber sprachen mit den Ausstellungsmachern Jochen Hengst und Sandra Hiemer die wirklichen Literaturwissenschaftler. Und das merkte man – daran, daß sie das, was man sah, noch einmal erklärten, aber viel komplizierter und bedeutungsschwerer, als man es sah.
Sosehr sich vor allem Sandra Hiemer auch mühte, die Ausstellung ist und bleibt eine ganz normale, sogar etwas betuliche Präsentation der einzelnen Exponate. Was ja auch gar nicht schlecht ist, schließlich ist Jahnn als Figur und sein Werk Fluß ohne Ufer als Werk spannend genug, um sich etwa für Handschriften, Erstdrucke oder Fotos zu interessieren.
So schlendert man an den Vitrinen vorbei, die – dem Aufbau der Niederschrift des Gustav Anias Horn folgend – in Monatskapitel eingeteilt sind, und freut sich über die Vielzahl der zusammengetragenen Originaldokumente. Der Verschlingung von Autobiographischem und Fiktivem in Jahnns Schreiben läßt sich gut nachspüren. Höchstens, daß man zwischendurch erschrickt: Ist Jahnn tatsächlich schon so tot? – aber bei welcher Ausstellung hat man das nicht?
Wo die Schau über den Rahmen des Üblichen hinausgeht, wird sie allerdings fragwürdig. So sind die einzelnen Vitrinen mit Zitaten Jahnns garniert, die, da aus dem Zusammenhang gerissen, ein wenig läppisch wirken und, da es bei Jahnn mehr auf die Schreibbewegungen denn auf einzelne Aussagen ankommt, den Betrachter gar auf eine falsche Fährte setzen.
Vollends merkwürdig die Präsentation von Jahnns Bornholmer Arbeitszimmer. Diese Originalmöbel, einen schlichten, rustikalen Küchentisch, einen unbequemen Holzstuhl sowie eine längliche Holztruhe, hätte man gerne aus der Nähe gesehen. Sie sind aber in 2,40 Meter Höhe auf ein Podest gestellt. Im übertragenen Sinne mag es stimmen, was Sandra Hiemer sagte, daß man nämlich der Bedeutung von Ausstellungsgegenständen durch physische Nähe nicht wirklich nahekommt. Real ist es anders, da möchte man gerne genau hinsehen. So aber wirkt die Anordnung nur wie die Trophäe einer allzu ausgedachten Idee.
Dirk Knipphals
Freie Akademie der Künste, Di–So 10–18 Uhr, noch bis 19. Februar
Kammerkonzert
„Ich lag mit dem Bauche auf einem Stege über dem Wasser... Ich lauschte und vernahm den schwermütigen Strom wunderbarer Harmonien... Endlich ergänzte ich die vier Teile des Werkes durch einen fünften Adagio-Satz, meinen Traum aus Wasser, Stein, Brückenholz und Eingeweiden.“ So beschreibt der Protagonist in Fluß ohne Ufer die Entstehung seiner Komposition.
Das Ungewöhnliche geschieht dann in der Realität: Der Schriftsteller Hans Henny Jahnn animiert seinen Zögling Yngve Jan Trede, das im Roman angedeutete Werk tatsächlich zu komponieren. Und pünktlich zu Jahnns 65. Geburtstag wird es fertig: Le Chant des Oyseaux, die freie Bearbeitung einer alten französischen Lautentabulatur.
Das Resultat wäre nicht weltbewegend, wäre da nicht der zweite Satz, in dem sich Trede vollkommen von der Vorlage löst. Die Reise durch das Adagio gleicht einem Rotkäppchen, das mit verbundenen Augen bekifft durch den Wald irrt: Das Ohr orientiert sich an dem jeweils neu gezwitscherten Thema, das sich von den anderen Stimmen abhebt und in eine andere Richtung lenkt. Die Klangfarben verwischen, das Fagott klingt weich und tief wie ein Cello, der Aufenthalt gestaltet sich mysteriös. Trede spielt mit Dissonanzen, bettet die einzelnen Töne so dicht aneinander, daß Schwebungen entstehen. Am Ende pulsiert das Quintett, vibrieren die Luftschwingungen einer Orgel gleich.
Das Ensemble Philharmonie brachte das Werk am Donnerstag zur Aufführung. Im Spiegelsaal des Museums für Kunst und Gewerbe evozierten die zehn Bläser den musikalischen Geist, der Jahnn bewegt hat: 20er-Jahre-Beschleunigungsklänge des Igor Stravinsky, die hauchdünnen, nordisch-melancholischen Melodielinien des Dänen Carl Nielsen und natürlich Mozart, den Jahnn so sehr liebte.
Im Quintett für Klavier und Blasinstrumente Es-Dur KV 452 jedoch weideten sich die Musiker in lieblicher, chopinesker Romantik – eine Interpretation, die Jahnn haßte. Er bevorzugte den Salzburger abstrakt und polyphon. So blieb die im Programmheft versprochene Mozart-Interpretation des Romanhelden eine kluge, uneingelöste Idee: „Wie haben Menschen nur auf den Einfall kommen können, sein Werk überwiegend anmutig oder gar leicht und lieblich zu finden? Nur weil er die Angst immer wieder zu verscheuchen sucht?“
Gabriele Wittmann
Am 15. 12. erklingt die von Jahnn restaurierte Orgel der Jacobi-Kirche. Am 17. 12. spielt das Orchester des Prager Nationaltheaters das Gilgamesch-Oratorium von Bohuslav Martinu. Texte von Jahnn liest Ulrich Wildgruber.
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