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Liebling Kreuzberg hat Sorgen

Türkiyemspor, der multikulturelle Fußballclub aus Kreuzberg, steckt in einer tiefen Krise / Ruf nach deutscher Disziplin und Ordnung  ■ Von Jürgen Schulz

Türkiyemspor steckt in der tiefsten Krise seit Gründung des Klubs 1978. Die traditionell buntgemischte „Multikulti-Elf“ aus Türken, Deutschen, Schotten oder Russen schleppt 350.000 Mark Schulden mit sich herum. Die Spieler erhalten erst jetzt allmählich die Gehälter der zurückliegenden Monate. Aufmucken tun die wenigsten.

Torwart Mirko Voigt (jetzt Göttingen 05) sowie Andreas Polenski (jetzt Spandauer SV) zogen die Konsequenzen und wechselten die Arbeitgeber. Der Rest macht seinem Frust anonym Luft. „Bei Türkiyem wird gewirtschaftet wie in der Kreisklasse“, schimpft einer, „da geht jemand mit dem Hut herum, und wer die größten Sprüche klopft, wird Präsident.“ Ein türkischer Mannschaftskollege sieht den letzten Rettungsanker in einem „deutschen Unternehmer, der für Disziplin und Ordnung sorgt und zu seinem Versprechen steht.“ Das Fazit: Der Ruf eines „FC St. Pauli von der Spree“, dem „Freudenhaus der Liga“, ist nachhaltig ramponiert.

Anfang November, beim Spiel gegen Erzgebirge Aue, wurde sogar der Vertrieb des engagierten Fan-Magazins Victory innerhalb des Stadions verboten. Einer der Macher des Blattes vermutet „vordemokratische Denkstrukturen in den Köpfen einiger Vereinsfunktionäre“.

„In der Vergangenheit wurden viele Fehler gemacht“, gesteht Erdal Celik. Am 19. November wurde Celik vom gerade gewählten Club-Vorsitzenden Ahmet Avar (50) zum Manager bestellt. Der 31jährige Restaurantbesitzer kickte in den glorreichen Zeiten, während der achtziger Jahre, selbst für Türkiyem – damals, als der „Türken-Club“ Berliner Pokalsieger wurde, um die Deutsche Amateurmeisterschaft kämpfte und die Massen elektrisierte. Den Erfolgen des Kreuzberger Flaggschiffs verdankt der Deutsche Fußball- Bund (DFB) sogar die „doppelte Staatsbürgerschaft“ für Ausländer auf dem Sportplatz.

Als „Fußball-Deutscher“ gilt, wer zwar eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzt, doch seit seiner Jugend in einer deutschen Mannschaft kickt. Diese „Lex Türkiyem“ geht nicht von ungefähr auf eine Initiative des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) zurück, der damit verhindern wollte, daß sich Türkiyem sportlich für die Profi-Bundesliga qualifiziert, jedoch keine Mannschaft aufbieten kann, da im Berufsfußball bloß drei Ausländer auf dem Platz stehen dürfen.

Heute versucht Krisen-Manager Celik, eine echte „Berliner Pflanze“ (er lernte Kicken bei Hertha Zehlendorf und Tasmania 73), an alte Zeiten anzuknüpfen. Gemeinsam mit Club-Chef Ahmet Avar, dem Leiter des Berliner Büros des Massenblatts Hürriyet, setzt Celik alle Hebel in Bewegung.

Und das Duo macht seine Sache gut. Sogar die Spieler-Gehälter für November sind bereits gezahlt worden. „Wir müssen wieder nach Kreuzberg zurück“, fordert Celik. Die Regionalliga-Spiele absolvierte Türkiyem bislang im anonymen, weil zu großen Jahn-Sport- Park in Prenzlauer Berg. „Unsere Fans wohnen aber in Kreuzberg. In der Rückrunde wollen wir wieder im Katzbach-Stadion spielen. Dann kommen auch die Zuschauer zurück“, ist Celik sicher. Worauf die schwindende Popularität Türkiyemspors letztlich zurückzuführen ist, weiß Celik auch nicht genau. „Hauptursache ist wohl, daß Türkiyem nicht mehr der einzige Club der Berliner Türken ist. Bei den Reinickendorfer Füchsen oder Tennis Borussia spielen ebenfalls viele Türken. Und in den unteren Klassen sind neue türkische Vereine entstanden“, erzählt Erdal Celik.

Viele Probleme sind jedoch hausgemacht. So wechselten die Präsidenten beim „Türken-Club“ zuletzt in rascher Folge. Klüngelwirtschaft wie beim 1. FC Köln oder „auf Schalke“ nahm Türkiyem die Luft. „Wenn die Sippe des Sultans ins Stadion ging, blieb der Clan des Großwesirs zu Hause“, umschreibt ein Spieler die Situation am Spielfeldrand. Ender Ertan, der erfolglose Vorgänger Ahmet Avars, wurde nach kurzer Regentschaft Ende Oktober 1994 entmachtet. „Das war ein Putsch“, zischte Ertan nach der Wachablösung, „man hat mich die ganze Zeit nur bekämpft.“ Interimspräsident Mehemt Aygün, einen reichen Kaufmann, kannte die Mannschaft nur vom Hörensagen. „Ich verkehre nur über einen Mittelsmann mit ihm“, meinte der damalige Trainer Thomas Remark, der Ende November entlassen wurde.

Das Team um die jetzigen Spielertrainer Thomas Herbst und Mehmet Öztürk hoffen, daß Manager Erdal Celik den „Türken- Club“ wenn nicht zu neuen Höhen, so doch wenigstens aus der Bredouille führt. Damit Kreuzberg wieder was zum Jubeln hat.

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