Künstler oder Moralapostel?

■ "Satire dient dazu, auf Punkte zu zeigen, die nicht richtig sind, die menschenfeindlich oder menschenverachtend sind."

Türkisch-deutsches Zusammenleben gilt gemeinhin als konfliktreich und schwierig. Es gibt Leute, die dem mit Scharfzüngigkeit und Humor begegnen wie der in Bremen lebende türkische Autor Osman Engin (geboren 1960 in der Türkei, seit 1970 in der Bundesrepublik). Seit über zehn Jahren schreibt er humoreske und satirische Texte nicht nur zum deutsch- türkischen Mit- und Gegeneinander.

taz: Was ist dein gesellschaftspolitisches Anliegen?

Osman Engin: Satire hat ohnehin nur ein gesellschaftspolitisches Anliegen. Satire dient dazu, auf Punkte zu zeigen, die nicht richtig sind, die menschenfeindlich oder menschenverachtend sind. Sie zeigt auf wunde Punkte der Gesellschaft, damit man darüber nachdenkt. Satire selbst kann den Zustand ja nicht verbessern.

Leute, die meine Satiren gelesen haben, erzählen beispielsweise manchmal, „Nach einigen deiner Satiren habe ich bemerkt, wie ich eigentlich mit Ausländern umgehe“, und sie haben versucht, es abzustellen. Das war ihnen früher nicht bewußt. Zum Beispiel der Text „Ausländer-Mitbenutzungszentrale“: Die Deutschen schenken den „armen Ausländern“ ständig abgetragene Sachen und bedenken nicht, daß diese genauso Menschen sind wie sie mit ihrem Stolz und so weiter. Das wird ihnen durch die Satiren bewußt.

In deinen Satiren behandelst du unter andrem auch die Remigration, die Rückkehr, und wie es den „Deutschlingen“ dabei ergeht; oder es gibt den Blick eines Türken in der Türkei auf den deutschen Urlauber. Du machst auch Scherze über den Türken als Urlauber in seinem eigenen Heimatland.

Viele machen das nicht als Urlaub, sondern nur als Pflicht. Erst in der letzten Zeit fangen die Türken an, Urlaub in der Türkei zu machen. Früher haben sie nur Verwandte besucht und ihr Feld bearbeitet oder das Dach ihres Hauses repariert und so weiter. Das war in der Türkei eine noch schlimmere Arbeit, als sie in Deutschland leisteten. Jetzt lernen sie erst, wie man Urlaub macht; sie sind eine Woche in der Südtürkei und genießen die Sonne. Sie kannten Urlaub ja früher gar nicht.

Meine These ist, daß du mit den Remigranten ein spezifisches Publikum in der Türkei hast, sozusagen ein Nischenpublikum: Viele Rückkehrer haben die Situation in Deutschland am eigenen Leib erfahren. Sie haben die sogenannte „Ausländerproblematik“ hautnah erlebt.

Sie würden die Texte zwar lesen, aber bei ihnen kann man nichts bewegen, weil sie ja nicht mehr in dieser Situation sind. Sie würden lesen und sagen „Jaja, so war das. Und lustig geschrieben ist es auch noch. Schön, ja.“ Die Texte werden in der Türkei durchaus gelesen: In Istanbul im Gymnasium, so höre ich von vielen, und auch in Ankara an der Universität. Immer dort, wo die Türken vom Ausland zurückgekehrt sind, werden die Texte gelesen.

Deine Texte haben sich vom Gastarbeiter „Osman“ zur „Engin-Family“ entwickelt. Wie kam kam dieser Wandel zustande?

Als ich angefangen habe zu schreiben, war ich noch Student, 22 Jahre alt. Ich hätte auch über mein Leben in der Ich-Person schreiben können. Aber wenn ich in der Ich- Person über mich selbst geschrieben hätte, wäre es langweilig geworden. Ein Studentenleben? Das wäre nicht so dauerhaft, es wären nicht so viele Themen hineingekommen. Über einen Gastarbeiter der ersten Generation kann man viel besser schreiben, es passiert viel mehr. Über die Studenten konnte ich dann als sein Sohn – als „mein Sohn“ – berichten, somit konnte ich viel mehr Themen behandeln. Deswegen habe ich diese Arbeiterfamilie ausgesucht. Ich persönlich meine, weil es schöner ist und spannender, wenn man in der Ich-Person schreibt. Man muß auch bei der Satire sehr aufpassen, daß es nicht ganz schnell peinlich und häßlich wird, wenn man sich über andere Leute lustig macht. Deswegen ist es besser, wenn man über sich selbst schreibt und über sich selbst Witze macht.

Worin liegt die Glaubwürdigkeit des Satirikers? Ist der Satiriker glaubhaft, wenn er die Kritik an seine Erzählperson bindet?

Ich versuche eigentlich, dadurch glaubwürdig zu sein, daß ich beide Gesellschaften kritisiere, die türkische und die deutsche. Dadurch haben die Deutschen nicht das Gefühl, sie würden von mir nur angegriffen und die türkische Gesellschaft ließe ich aus. Das ist nicht so. Ich kritisiere in beiden Gesellschaften, was mir auffällt, was es zu kritisieren gibt. Die Doppelmoral der Türken zum Beispiel, darüber lasse ich mich sehr viel aus, die ärgert mich. Und bei den Deutschen sind es die Bürokratie und die Ausländerfeindlichkeit.

In deinen Satiren werden die Prozedur der Einbürgerung und

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die Einbürgerungsbemühungen der Türken aufs Korn genommen. Sinasi Dikmen macht das ebenfalls zum Thema. Hier bekommt die deutsche Öffentlichkeit das Thema zum ersten Mal präsentiert.

Obwohl das seit Jahren der Fall ist. Die Titelgeschichte des letzten Buches, „Dütschlünd, Dütschlünd übür üllüs“ zum Beispiel haben mir Leute bei einer meiner Lesungen erzählt: Da mußte ein Türke die deutsche Nationalhymne lernen, damit er beweisen konnte, daß er in der deutschen Kultur bewandert ist. Da brauche ich fast nicht mehr zu übertreiben, das ist Satire.

Wie reagiert das Publikum auf deine Satiren? Wirst du auch für deine Satire kritisiert?

Das erlebe ich sehr selten. Meistens sind die Zuhörer sehr aufgeschlossen und sagen: „Gut so, weitermachen, nicht kleinkriegen lassen“ und so weiter und kaufen die Bücher. Ich bekomme sehr positive Leserbriefe von Lesern.

Gibt es auch andere Reaktionen? Du schreibst ja zum Beispiel auch über Rechtsextremismus.

Sehr, sehr selten. Ich glaube, diese Leute lesen keine Bücher. Rechtsextreme Leute kaufen bestimmt nicht meine Bücher und lesen auch nicht die Zeitschrift, in der ich schreibe. Durch das Radio erreiche ich manchmal solche Leute, und manchmal bekommen sie im Radio dann einige Anrufe. Manche Leute in Bremen oder im Umland kennen mich beispielsweise noch nicht und nehmen meine Satiren als Tatsachenbericht; dann ärgern sie sich, wie ich so was schreiben kann. Dann klärt sie die Redaktion auf, daß es eine Satire war und schickt ihnen ein Buch von mir.

Der Express-Verlag bezeichnete deine Texte als Satiren, der Rowohlt-Verlag nennt sie „Geschichten zum Lachen“. Satire, Humoreske, was denn nun?

Der Rowohlt-Verlag meinte, Satiren kaufe in Deutschland niemand, weil man darüber nachdenken müsse, und das wolle niemand. Die Leute wollen lachen. Deswegen haben sie „Geschichten zum Lachen“ als Untertitel geschrieben. Sie halten sie zwar auch für Satiren, aber wegen des Verkaufs...

Eine sehr interessante Aussage über die Satirekultur in Deutschland! Tucholsky konnte ja auch schon darüber klagen.

In der Türkei schreiben sie ganz groß darüber „Satire“, damit die Leute kaufen; da ist es verlockend. In Deutschland ist es umgekehrt: Weil die Leute nachdenken müssen, kaufen sie die Bücher nicht. Die Verlage meinen, einfache Humorgeschichten, über die man nicht nachdenken muß, nur lesen und lachen, so etwas würde ankommen. Sie müssen es ja wissen...

Du arbeitest auch mit Karikaturisten zusammen: In deinen Büchern erscheinen immer Illustrationen, Karikaturen und Cartoons verschiedener Karikaturisten wie Orhan Çakìr, Latif Demirci, Til Mette. Wie kommen diese Kombinationen zustande? Gehst du auf die Karikaturisten zu, ist es eine Idee der Verlage?

Es ist meine Idee. Latif Demirci, den bekanntesten Karikaturisten der Türkei, habe ich selbst ausgesucht, weil ich ihn sehr gut finde. Ich bin in die Türkei gefahren, habe mit ihm gesprochen, und er war einverstanden, seine Zeichnungen für den Band „Sperrmüll- Efendi“ zur Verfügung zu stellen. Die Illustrationen der letzten Bücher hat Til Mette gemacht. Latif Demirci zeichnet in der Türkei und kennt sich mit der Situation hier in Deutschland nicht aus; Til Mette, kennt sich dagegen bestens aus und fertigt sehr gute Zeichnungen. Er zeichnet sie einfach so von sich aus, aber sie passen zu den Satiren, weil wir das gleiche Thema behandeln.

Bislang bist du Buchautor – könntest du dir vorstellen, Texte für ein Kabarett zu schreiben? Arbeitest du mit Kabarettisten zusammen?

Nein. Ich habe keine Lust, für ein Kabarett extra etwas zu schreiben. Wenn schon, dann sollen sie meine Satiren nehmen und für Kabarett umschreiben. Ich würde mir damit keine Mühe machen. In dieser Zeit würde ich lieber neuere Satiren schreiben, als meine Satiren für Kabarett umzuschreiben. Das ist es mir nicht wert.

Ich könnte mir eine Fernsehserie vorstellen: „Die Engin-Family“ im Bremer TV. Wäre das nicht ein Projekt?

Es ist mir schon so oft gesagt worden, von Fernsehleuten, die das machen wollen. Viele Leute vom Fernsehen, die auf meinen Lesungen sind, kommen mit dieser Idee; einige wollen eine Zeichentrickserie daraus machen, einige wollen eine richtige Familienserie daraus machen. Ich habe gesagt, „Gut, dann findet einen Drehbuchautor, der die Texte umschreibt.“ Daraus ist jedoch bis jetzt noch nichts geworden.

Das heißt, wenn man einen Drehbuchautor finden würde, wärest du zu einer solchen Kooperation bereit?

Ja, ich wäre von mir aus bereit, aber ich würde die Texte nicht umschreiben. Ich würde statt dessen lieber neue Sachen schreiben. Das ist auch ein Grund, weswegen ich meine Texte nicht selbst übersetze. Das überlasse ich anderen, die dies berufsmäßig tun.

In welche Sprachen werden deine Texte übersetzt?

Zunächst ins Türkische, dort werden zwei Bücher von mir übersetzt. Als Buch wurden sie ansonsten noch nicht in andere Sprachen übersetzt. Als einzelne Satiren schon, in Kandada, in Frankreich, in Dänemark und so weiter.

Gibt es Schulbücher, die deine Satiren beinhalten.

Ja, in Dänemark und Frankreich. Die Texte erscheinen in Schulbüchern für Deutsch als Fremdsprache, also in deutscher Sprache.

Auch in Deutschland sind die Satiren in einigen Schulbüchern, meistens in denen fürs Gymnasium beziehungsweise in Lehrerbänden, enthalten.

Satire bahnt sich den Weg ins Bücherregel. Hoffen wir, daß es so weitergeht!

Bücher von Osman Engin: „Der Sperrmüll-Efendi. Geschichten zum Lachen.“ Reinbek/Hamburg (Rowohlt TB) 1991; „Alles getürkt! Neue Geschichten zum Lachen, Reinbek/Hamburg (Rowohlt TB) 1992; „Der Deutschling – Alle Dackel umsonst gebissen, Reinbek/ Hamburg (Rowohlt TB) 1994; „Dütschlünd, Dütschlünd übür üllüs“, Berlin (Dietz 1994)