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Schuldig, ohne es zu merken

Das internationale „Basso-Tribunal“ sprach die EU- und Efta-Staaten schuldig, mit ihrer Asylpolitik Rechte von Flüchtlingen zu verletzen / Offizielle Vertreter hörten nicht zu  ■ Aus Berlin Jeannette Goddar

In Abwesenheit wurden die EU- und Efta-Staaten gestern im Berliner Rathaus Schöneberg schuldig gesprochen, mit ihrer Asylpolitik systematisch gegen internationale Verträge zu verstoßen und Flüchtlinge in ihren Rechten zu verletzen. Deshalb sollen Asylsuchende einen Anspruch auf Entschädigung haben. Das Urteil, das die westeuropäische Staatengemeinschaft vermutlich nah an den Bankrott bringen würde, hat nur einen Schönheitsfehler – es wurde nicht von einem Gericht gesprochen, sondern von der zehnköpfigen internationalen Jury des „Ständigen Tribunals der Völker“, überwiegend Literaten und Wissenschaftler.

Die Verurteilten werden den Schuldspruch wahrscheinlich nicht einmal in die Finger bekommen. Doch nach achtzehn Sitzungen haben sich die Mitglieder des Basso- Tribunals, die regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen zu Gericht sitzen, an ihre mangelnde Rechtswirkung gewöhnt und spekulieren auf die Öffentlichkeit: „Wir wissen, daß wir ein Tribunal der Meinungen sind“, erklärte Francois Rigaux, Jurist, Philosoph und Präsident der Lelio-Basso- Stiftung. „Damit haben wir aber die Möglichkeit, Nahrung für Meinungsströmungen zu geben.“

Das wiederum taten sie gründlich. Zwei Tage und Nächte war die Jury bis Montag früh um sieben in Klausur gegangen, hatte Rechtsquellen studiert, politische, ökonomische und soziale Fluchtgründe diskutiert, Zeugenaussagen analysiert und um den Wortlaut des Urteils gestritten. Dieses zeichnet sich weniger durch den Schuldspruch aus als durch den Forderungskatalog zur Verbesserung des Rechtsschutzes für Flüchtlinge und Asylsuchende (siehe Dokumentation). „Euphemistische Begriffe wie ,Harmonisierung‘ sollen darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei der Asylpolitik um eine Abschottungspolitik handelt“, heißt es in der Begründung. Das Prinzip des „Schutzes für Flüchtlinge“ sei systematisch in eins des „Schutzes vor Flüchtlingen“ umgewandelt worden.

Verschwiegen werde außerdem, daß Europa nur fünf Prozent der geschätzten fünfzehn bis zwanzig Millionen Flüchtlinge auf der Welt aufnehme.

Seit Donnerstag hatte das Tribunal in Berlin Vorträge und Fakten von internationalen Experten und Flüchtlingen gehört. Dabei hielt sich das öffentliche Interesse in Grenzen. Die meisten der Vorträge wurden im halbleeren Saal gehalten. Kein einziger offizieller Vertreter konnte sich aufraffen zu erscheinen. „Menschenrechte werden in Europa Bürokraten überlassen“, kommentierte das deutsche Jurymitglied Günter Wallraff zum Abschluß des Tribunals.

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