: Berlusconi durchgefallen
IWF und EU schreiben Mahnbriefe an Italiens Regierung / Börsenmakler flüchten aus Italoaktien / Haushaltskonsolidierung nicht in Sicht ■ Aus Rom Werner Raith
Wenn Italien seine Post nicht hätte, was wäre da der Katalog täglicher Ausflüchte noch wert: Die Briefe, die der Internationale Währungsfonds (IWF) und fast gleichzeitig die Finanzkommission der EU an Italiens Regierung wegen Haushaltskonsolidierung geschrieben haben und die Berlusconis Mannschaft seit Wochen fürchtet, sind angeblich noch immer nicht angekommen.
Schatzminister Lamberto Dini munkelt zwar, er wisse schon das eine oder andere, aber der Ministerpräsident habe das Schreiben noch immer nicht gesehen. Darum müsse man eben über den Inhalt zunächst noch schweigen. Ganz so schlimm, wie die Presse fabuliert, sei alles sowieso nicht. Vorsorglich hat Dini aber schon angekündigt, daß das Haushaltsgesetz, das noch nicht einmal verabschiedet ist, in absehbarer Zeit novelliert werden müsse.
Worum geht es? Italiens Regierung hat im Oktober ein Haushaltsgesetz vorgelegt, das dann in einer Flut öffentlicher Proteste, Demonstrationen und zweier Generalstreiks untergegangen ist. Am Ende mußte just das Kernstück, das eigentlich alle politischen und sozialen Kräfte als dringend geboten ansehen, aus dem Haushaltsgesetz herausgelöst werden: Über die Rentenreform soll nun erst später verhandelt werden. Sie war allzu einseitig zuungunsten der Schwächeren in der Gesellschaft ausgefallen, und das hatte die Massen in bisher nie gekannter Weise mobilisiert.
Das Ausklinken der Reform aber macht nicht nur alle Ansätze zur Haushaltskonsolidierung für die kommenden zwei Jahre fraglich. Es hat im Grunde auch den Rest von Vertrauen der Wirtschaft in die Regierungskunst Berlusconis zerstört. Dabei hatten sich einzelne Unternehmer und Finanzexperten bis dahin etwas Goodwill abgerungen, um dem Neuen in Rom wenigstens einige Zeit friedlichen Amtierens zu ermöglichen.
Seit zwei Wochen hat eine regelrechte Flut von Absetzbewegungen begonnen: der Industriellenverband, der Berlusconi im Sommer ein Jahr Zeit zugestanden hatte; die Jungunternehmer, die ihm schon seit Oktober nicht mehr trauen; und die Mittelstandsvereinigungen, die der Koalition bei den Parlamentswahlen im März den Sieg ermöglicht hatten.
Nicht nur ausländische, sondern auch alle größeren italienischen Brokerbüros raten derzeit nur eines: Verkauft, was ihr an italienischen Titeln und Aktien besitzt; der Verfall wird noch schlimmer. Selbst wenn sich einzelne Börsenbüros für den Erwerb italienischer Wertpapiere aussprechen, erfolgt das nicht gerade mit schmeichelhaften Attributen: „Kauft, was ihr zusammenbekommen könnt“, rät etwa die Morgan-Stanley-Agentur, „ihr kriegt Italien derzeit zum Nulltarif.“
Dazu trägt natürlich nicht nur der Sturz der Aktien bei, sondern auch der Fall der italienischen Währung ins nahezu Bodenlose. Fast 1.050 Lire bekommt der Käufer jetzt für eine Mark. Noch vor zwei Jahren bekam er dafür nur 635. Kaufen in Italien ist derzeit preiswert wie nie.
Der IWF wird Italien einen „strengen Verweis“ erteilen. So schätzen hohe Beamte des Finanzministeriums den Tenor des avisierten Briefes ein. Die Regierung könne nicht so tun, als habe sie klare Eckwerte für den Haushalt gegeben, „wenn sie selbst nicht weiß, ob die Rentenreform, die wohl frühestens Mitte 1995 ausverhandelt sein wird, nun zusätzlich drei Milliarden Dollar oder sieben Milliarden oder nur eine kosten wird“. Zusätzlich haben die Inspektoren aber auch noch zahlreiche weitere Mängel in den Haushaltsplänen entdeckt. So etwa die angeblich zu erwartenden Einnahmen aus der Amnestie für die Erbauer illegaler Bauten. Die sind noch immer mit gut drei Milliarden Dollar angeführt, obwohl bereits jetzt klar ist, daß nicht einmal ein Fünftel davon einfließen wird. Schon viermal hat die Regierung eine Verlängerung der Zahlungsfristen zugestanden – mit dem Erfolg, daß nun alle Bürger auf erneute Verschiebungen warten und gar nicht daran denken, ihr illegal errichtetes Häusle zu legalisieren und die dafür festgesetzte Amnestie-Gebühr (zwischen 800 und 4.000 Mark) zu überweisen.
Und schon zeichnen sich neue Probleme ab, etwa im Bereich der Privatisierung von Staatsunternehmen. So hat der Verkauf von Anteilen an dem Postunternehmen Telekom zwar ansehnliche Einnahmen erzielt. Doch dies wurde vor allem erreicht, weil das Privatisierungsgesetz dem Unternehmen eine Monopolstellung im Lande vorbehalten hat.
Da der Staat noch immer eine Quote nahe 50 Prozent der Anteile hält, sah die Sache bisher gut aus. die Aktien stiegen und damit auch der Besitzstand für den Fiskus. Nun aber hat die EU-Kartell- Kommission die sofortige Zulassung von Konkurrenten für die Telekom verfügt, und schon sind all die Vorteile weg. Der Sturz der Aktien ist absehbar. Schatzminister Dini wird seinen Haushalt schon deshalb korrigieren müssen.
Der auch nach Ansicht von IWF und EU gravierendste Faktor für die Unsicherheit im Lande hat jedoch einen Namen: Silvio Berlusconi. Immer wieder haben die Kommissare bei ihrer Inspektion festgestellt, daß „eine Regierung eben nicht mehr handlungsfähig ist und daher nirgendwo mehr Vertrauen bekommt, deren Chef weder seine Koalitionspartner auf seiner Linie zu halten noch die gegen ihn erhobenen Korruptionsverdächte zu beseitigen weiß.“ Soll wohl heißen: Sucht euch bitteschön eine Regierung ohne diese Damoklesschwerter. Es ist die einzige Chance, das Land wieder aufzurichten.
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