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HEW-Atompoker mit kurzen Fristen

■ Electricitätswerke wollen im Alleingang aus der Plutoniumwirtschaft raus Von Marco Carini

Dem Kabinett wußte Schleswig-Holsteins Energieminister Claus Möller (SPD) am Dienstag interessante Neuigkeiten zu berichten. Am Freitag, dem 9. Dezember, so teilte Möller der MinisterInnenrunde mit, habe er ein eiliges Schreiben von den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW) erhalten. Darin teilten die HEW der Kieler Atom-Aufsichtsbehörde mit, man „erwäge“ ganz kurzfristig den Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente.

Die HEW rennen bei Möller offene Türen ein. Schon lange drängt der Minister den Energiekonzern, aus dem gefährlichen Brennstoffrecycling auszusteigen, bei dem Hunderte Kilo Plutonium – giftigster Stoff der Welt und Atombombenbaumaterial zugleich - anfallen.

Doch der Stromversorger knüpft seine Ausstiegsbereitschaft an eine Bedingung: Möller müsse eine Deponierung abgebrannter Brennelemente in den Atommüllzwischenlagern im niedersächsischen Gorleben und im nordrheinwestfälischen Ahaus als vom Atomgesetz geforderten „Entsorgungsnachweis“ akzeptieren.

Und das bitte im Schnellverfahren. Denn die HEW wollen möglichst noch in diesem Jahr zumindest aus den Verträgen mit der britischen Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield raus.

Ohne adäquaten Entsorgungs-Ersatz für die 1990 abgeschlossenen „Neuverträge“ mit den Wiederaufarbeitungsanlagen im französischen La Hague und im britschen Sellafield aber müßten die Norddeutschen Atommeiler bald vom Netz. Das AKW Brunsbüttel, dessen Wiederinbetriebnahme die HEW noch im Januar erwarten, müßte nach gesicherten Informationen der GAL dann bereits 1996 aufhören, Kerne zu spalten. Mit Krümmels Betriebsamkeit wäre es in drei Jahren vorbei.

Einzige Alternative: Kiel akzeptiert als erstes Bundesland eine Atommüll-Zwischenlagerung als Atommüll-Entsorgungsnachweis. Franz Emde, Sprecher des Bundesumweltministeriums: „Seit der Novellierung des Atomgesetzes im Juli ist das grundsätzlich möglich“.

In Kiel aber löste die HEW-Offerte hektische Betriebsamkeit aus. Ein Teilnehmer der MinisterInnenrunde: „Möller befürchtet, daß die HEW im Ausstiegspoker ihm den Schwarzen Peter zuschieben wollen.“ Denn die Kieler erwarten, daß die HEW heute nach ihrer Aufsichtsratssitzung ihre Pläne öffentlich machen. Voraussichtliches Credo: Wir wollen noch 1994 raus aus Sellafield – es hängt nur noch an der Genehmigung aus Kiel.

Claus Möller ist dabei nach Informationen aus der Kabinettsrunde geneigt, die neue HEW-Entsorgungsvariante als Zwischenlösung zu akzeptieren, wenn die Stromversorger bei ihrer Suche nach einem Endlager Fortschritte machen. Doch bevor Kiel die Vorschläge akzeptieren kann, müßten die HEW noch gewaltig nachbessern. Die jetzige Fassung des Antrags, so machte Möller in der MinisterInnenrunde deutlich, sei „zur Zeit höchstens im Prinzip genehmigungsfähig“.

Den HEW aber läuft die Zeit davon. Kündigt der Stromkonzern die sogenannten Neu-Verträge mit Sellafield – hier läßt Krümmel aufarbeiten – erst nach Sylvester, erhöht sich die für den Energiekonzern fällige Vertragsstrafe um rund 50 Millionen Mark. Monatelang verhandelten die HEW mit den Sellafield-Betreibern darum, auch nach Jahresfrist zum Billigtarif aus den Verträgen zu kommen. Eine Fristverlängerung sei „nicht unmöglich“, glaubte der HEW-Aufsichtsratschef und Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt noch Mitte November. Er sollte sich in bezug auf Sellafield täuschen.

Unklar bleibt, warum sich die HEW-Funktionäre nicht schon während der Ausstiegs-Verhandlungen auf deren mögliches Scheitern vorbereiteten und rechtzeitig beim Kieler Energieministerium anfragten, ob auch die Zwischenlagerungsvertäge als Entsorgungsnachweis akzeptiert würden. 50 Millionen Mark Vertragsstrafe wären dann den Stromkunden möglicherweise erspart geblieben.

Siehe auch Seite 7

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