: Theatermasken am Kleinstadtrand
Soviel Kultur, wie in der Provinz eben möglich ist: Die Klostergalerie in Zehdenick ■ Von Susanne Bernhardt
Ungefähr eine Fahrtstunde nordöstlich von Berlin liegt Zehdenick, eine verschlafene Kleinstadt wie viele: mit leuchtreklamig instand gesetzter Hauptstraße, Fischerviertel und einem schönen Marktplatz. Am Stadtrand liegt – eingerahmt vom idyllisch wildgewachsenen Klostergarten – das über 700 Jahre alte Zisterzienserkloster der Stadt. Ein nostalgisches Schild am Eingangstor zeigt an, daß man die Klostergalerie gefunden hat.
Um der Galerie ein „bißchen auf die Sprünge zu helfen“, fand hier vor einigen Wochen eine Kunstauktion besonderer Art statt. Gestiftete Werke aller KünstlerInnen, die bisher in der 1992 wiedereröffneten Galerie ausgestellt haben, kamen unter den Hammer. Eine handsignierte Grafik von Günther Grass war ebenso dabei wie Lithographien von Kurt Mühlenhaupt, Aquarelle von Gotthold Gloger und Plakate von Klaus Staeck und Eva-Maria Hagen. Neben Konzerten, Lesungen und Performances war dies eine der Aktionen, die die Ausstellungen begleiten.
Kulturelle Pionierarbeit in Brandenburg
Träger des Projekts ist der 1993 von Kunst- und Kulturinteressierten der Region gegründete Verein „Kulturlandschaft Brandenburg e.V.“. Das Ziel ist die kulturelle Urbarmachung einer Region, in der „die Arbeitslosigkeit unglaublich hoch ist und nichts Kulturelles passiert“. Schon 1992, als das arg vernachlässigte Kloster noch umgebaut wurde, fanden in der „kleinen Schwestergalerie“ am wenige Minuten entfernten Marktplatz regelmäßig Ausstellungen statt. Eine Fotoreihe zum Thema „Frauen in Brandenburg“, zum Beispiel. Und neben etlichen Berliner Malern und Grafikern zeigte auch Wolfgang Utzt, der Chef-Maskenbildner des Deutschen Theaters, eine Bandbreite seiner Arbeit.
„Ich habe mir immer gewünscht, daß auch etwas Volkstümliches angeboten wird. Damit die Leute nicht ausschließlich mit abstrakter Kunst konfrontiert werden“, so die Galeristin Helga Gloger. Die ausgebildete Opernsängerin war 1959 von Erfurt nach Ostberlin gekommen. Dort lernte sie den Maler Gotthold Gloger kennen und zog mit ihm aus der Berliner Single-Bude auf einen idyllischen Flecken Land, wo sie ein Haus gefunden hatten. In Künstlerkreisen nichts Ungewöhnliches, denn „überall standen leere, kaputte Häuser herum, in denen es sich Künstler den Sommer über gemütlich machten“.
Insel der Seligen auf dem Lande
Derartige Nischen wurden im allgemeinen geduldet, weil sie offiziellen Lebenskonzepten nicht in die Quere kamen. Die Grenzen dieser Toleranz waren allerdings auch schnell zu erreichen: Anfang der 80er Jahre – zu einer Zeit also, als „schon Ansammlungen von fünf oder sechs Leuten auf Kirchengelände suspekt waren“, fand sich eine Gruppe von Künstlern zusammen, um das leerstehende Klostergebäude zu „schrubben“ und dort Ausstellungen zu veranstalten. Hier schritt die SED-Kreisleitung dann doch ein, und im alten Gemäuer wurde es wieder ruhig.
Als Jahre später dann die Galerie am Marktplatz eröffnet wurde, entstand die Idee, mit der Denkmalpflege in Berlin Kontakt aufzunehmen, um den alten Traum vom Kloster als Kunst- und Kultur- Raum zu verwirklichen. Und so analysierten Fachleute die in Jahrhunderten angesammelten Farbschichten und restaurierten die Räume auf so „moderne“ Weise, daß die Zehdenicker zur Wiedereröffnung ihr Bedauern darüber ausdrücken, „daß die Arbeit noch nicht fertig geworden ist“.
Neben Helga arbeiten mittlerweile noch zwei andere Frauen mit: eine bekämpft den Papiertiger im Büro, die andere hat die „soziokulturellen Geschichten“ übernommen, die seit neuestem für Kinder und Jugendliche angeboten werden. Im künstlerischen Bereich, das sei ganz wichtig, denn „soziokulturell“ solle nicht bedeuten, daß die Galerie sich zur Sozialstation umfunktioniere.
Über die Weihnachtszeit gibt es derzeit eine Ausstellung mit alten und neuen Kasperpuppen und dazugehörigem Werkzeug. Ein Hallenser Puppenspieler war zur Eröffnung angereist. In diesem Zusammenhang soll mit den Kindern dann ein eigenes Stück entwickelt werden und als kleines Wandertheater durch die öffentlichen Einrichtungen der Region tingeln. Auch Lesungen werden veranstaltet: im Januar beispielsweise steht der Briefwechsel zwischen Zelter und Goethe auf dem Programm, gelesen von Eberhard Esche und Klaus Piontek vom Deutschen Theater.
Organisatorisches bestimmt den Galeriealltag hier wie überall: Gelder müssen beantragt werden, auch wenn der Stadthaushalt für 1994 noch immer nicht verabschiedet ist. Ein Treffen mit dem Ministerpräsidenten, ob denn die angrenzende Feldsteinscheune nicht auf Landesebene zum Kulturzentrum ausgebaut werden kann, mit Ateliers, Kongreßräumen und Gastronomie. Auch Werbung, aber nicht per Agentur. Sondern „hingehen, mit den Leuten reden“. Mit dem Apotheker, dem Lehrer, dem Ladenbesitzer, „damit er mir ein Plakat hängt“.
Das Bedürfnis nach Kunst einpflanzen
Zwischendurch ist noch der reisende Filmvorführer fällig, der in seinem alten Wartburg Filmprojektor, Leinwand und Filme durch die Landschaft karrt und mangels seßhafter Konkurrenz einmal monatlich eine Vorführung „abschnurrt“. Überlegungen, ob zusätzlich zum Programm für 1995 – aller Bedrohung durch rechtsradikale Übergriffe zum Trotz – eine Ausstellung jüdischer Malerei samt jiddischem Liederabend stattfinden kann.
Perspektivischer Wunsch? „Daß man das breitere Publikum interessieren könnte, nicht begeistern, aber interessieren, daß man schon in die Kinder ein Bedürfnis pflanzt, ohne das sie später nicht leben können: auch mal in eine Ausstellung zu gehen oder Musik zu hören oder sich ein Theaterstück anzusehen. Mit dem, was möglich ist, in Zehdenick.“
Klostergalerie, Marktstraße 15, 16792 Zehdenick,
Telefon: 03307-2440.
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