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Ein besseres Leben für den ANC

Auf seinem ersten Parteitag nach den April-Wahlen versucht der Afrikanische Nationalkongreß seine Rolle neu zu definieren: „Widerstehen und regieren sind zwei Dinge“  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

Nelson Mandela versuchte, die Erinnerung an seinen Wahlsieg im April wiederaufleben zu lassen: „Südafrika hat die grundlegendste politische Umwälzung in Jahrhundeten erlebt.“ Und so wurde die fast 90 Minuten dauernde Rede, die Südafrikas Präsident zur Eröffnung des Parteitages des „African National Congress“ (ANC) in der großen Halle der Universität von Bloemfontein hielt, mehrmals von tosendem Beifall unterbrochen. Es war der erste ANC-Kongreß seit den ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Landes, doch über Mandelas Kopf hing ein Plakat, das den dreitausend Delegierten jedes Hochgefühl sofort wieder austreiben mußte. „Vom Widerstand zum Wiederaufbau und zum Aufbau einer Nation.“ Diesem Problem muß sich der ANC heute stellen.

Die neue Aufgabe bereitet nicht nur der ANC-Führung Kopfschmerzen, sie drückt auch auf die Stimmung der Delegierten. Daß sich der ANC unter der Bürde der Regierungsverantwortung ändern müßte, hatten Teile der Führung schon vor den Wahlen erkannt. Aber selbst Mandela gab in seiner Eröffnungsrede zu: „Wir hatten keine geplante Übernahme der Regierung.“

Sowenig der ANC auf diesen Schritt vorbereitet war, so sehr fehlte es auch an Perspektiven für eine Fortentwicklung der Organisation. Von einem Tag zum anderen verließen fast alle Funktionäre, die im Wahlkampf das Rückgrat gebildet hatten, das Hauptquartier und wechselten ins Parlament. Doch ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa mußte nicht nur mit dem plötzlichen Mangel an geschultem Personal fertig werden. Am Sonntag zeichnete er in seinem Rechenschaftsbericht das Bild einer vom Zerfall bedrohten Gruppierung: „Die Finanzquellen, aus denen wir früher geschöpft haben, sind ausgetrocknet. Wir haben unsere Effizienz verloren. Es gibt keine Entscheidungskraft in der Führung mehr.“ Im kommenden Jahr aber muß der ANC bei Kommunalwahlen bestehen.

„Wir müssen darüber reden“, sagt denn auch Ike Maphote, seit 1954 Mitglied des ANC, „wie wir regieren wollen. Widerstandskampf und Regierung sind zwei verschiedene Dinge.“ Bis zum Donnerstag werden die Delegierten über solche Fragen unter Ausschluß der Öffentlichkeit beraten. Vorausblickende Führungsmitglieder hatten schon während der letzten Konferenz vor drei Jahren erklärt, der ANC habe die Wandlung von der Widerstandsorganisation zur Partei vollzogen. Doch damals wurden sie zurückgepfiffen. Ob dieser Schritt nun gelingt, ist angesichts der Stimmung bei den Delegierten offen.

ANC-Mitglieder an der Basis mußten erleben, wie sich fast die gesamte Führungsebene als frischgebackene Parlamentarier beim inzwischen berüchtigt gewordenen „Gravy Train“ – wörtlich übersetzt: „Soßenzug“ – mit hohen Diäten und Privilegien eindeckten. „A better life for all“ – ein besseres Leben für alle – lautete aber die Losung im Wahlkampf, die dem ANC eine 62prozentige Parlamentsmehrheit verschaffte.

Doch es brodelt nicht nur im ANC, auch die Wähler werden ungeduldig. Wohnungslose haben begonnen, ihre Probleme in die eigene Hand zu nehmen, und errichten in Parkanlagen im Johannesburger Zentrum Hütten aus Pappkartons oder besetzen leere Appartementgebäude. Arbeitslose campieren vor Werkstoren und verlangen Jobs. In Bloomfontein kritisierten Delegierte offen den Vorsitzenden Mandela wegen dessen Versöhnungspolitik mit der weißen Minderheit.

„Ich bin verbittert“, klagte ein Delegierter, „man hat das Gefühl, Schwarze würden nicht mehr existieren.“ Es gibt Mitglieder, die verlangen, daß nur noch Schwarze in den 75köpfigen Vorstand gewählt werden sollen. Nelson Mandela dagegen strebt an, mehr Nichtschwarze in das Gremium zu hieven. Gegenwärtig besetzen sie 28 Prozent der Sitze.

„Wir setzen niemand extra ein, und es kostet uns keinen Pfennig, den Weißen zu sagen, daß sie die Zukunft in Südafrika nicht zu fürchten brauchen“, setzte Mandela seinen Kritikern entgegen. „Wir müssen uns vor Opportunisten aller Schattierungen hüten, die versuchen, mit radikal klingenden, aber unpraktischen Vorschlägen populär zu werden.

Aber auch Südafrikas großer alter Mann muß zugeben: „Unsere Leute haben über Jahrhunderte gelitten, und deshalb mag es so scheinen, als ob wir gegenwärtig nur langsam vorwärtskommen.“ Mandelas Zielvorgabe für den fünftägigen Kongreß: „Sichtbare Veränderungen müssen im nächsten Jahr ein sichtbarer Bestandteil unserer Politik sein.“

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