: Nachschlag
■ Zirkus kommt von Kreis: „Que-Cir-Que“ hinterm Tacheles
Die Fahrradfelge dreht sich munter im Kreis, rollt ihrem Herrn über Schultern und Rücken und rotiert wie ein Kreisel in seiner Armbeuge. Eine Artistin turnt graziös an zwei Gummiseilen, bis sie sich rettungslos in ihnen verhakelt und sich als Marionette um den Zeltmast dreht. Ein Rhönrad wird zum Tanzpartner, der sich auch ganz allein weiter zum Rhythmus der Musik bewegt.
Qu'est-ce „Que-Cir-Que“? Hebbel-Theater, Tacheles und Bar jeder Vernunft haben den französischen Avantgarde-Zirkus gemeinsam nach Berlin geholt. In seinem Namen fügen sich die beiden Silben des Wortes „cirque“ zur Endlosschleife: Zirkus kommt von Kreis. In dem kleinen Zelt hinter dem Tacheles dreht sich alles um den Mittelpunkt, den einzigen Mast. Hyacinthe Reisch stemmt seinen Mitspieler Jean-Paul Lefeuvre Schritt für Schritt hinauf. Das Hinunterkommen scheint noch schwieriger, weil Jean-Paul am Mast klebt, als hätte er Saugnäpfe. Aber auch damit kann er der schönen Emanuelle Jacqueline nicht imponieren.
„Que-Cir-Que“ ist aus Ueli Hirzels berühmten „Cirque 0“ hervorgegangen, dem erotischen und bösen Gegenstück zum Zirkus Roncalli. Die drei Artisten haben an der vom ehemaligen französischen Kultusminister Jack Lang gegründeten Zirkusschule studiert. Sie gehören zu einer jungen Generation von Artisten, die im Zirkus nicht Nummern abfeiern, sondern Geschichten erzählen will.
Die knapp anderthalbstündige Vorstellung ist ein kleines, stummes Liebesdrama zwischen einer Frau, zwei Männern, einer Wippe und vielen anderen beseelt scheinenden Gegenständen. „Que-Cir-Que“ dressiert keine Tiger und tanzt nicht auf dem Hochseil, sondern spielt auf unnachahmliche Weise mit Alltagsgegenständen. Fahrradschlauch, Schuhputzkasten und Besen entwickeln ein artistisches Eigenleben. Ihre Dompteure sind gleichzeitig Clowns. Hyacinthe, der energische Draufgänger, kriegt von der launischen Schönen und dem Zeltmast immer wieder eins drauf. Und Jean-Paul ist ein schüchterner, trauriger Hans im Glück. Auch wenn er stumm bleibt, sein seelenvolles Zehenspiel spricht. Und lehrt uns: daß die Objekte, wenn man zärtlich zu ihnen ist, ihre Tücke verlieren. Miriam Hoffmeyer
Weitere Vorstellungen bis 23.12. Mi-So, 27.-31.12. und 3.-7.1. Di- Sa sowie 11.1. bis 15.1., 20 Uhr, im Zelt hinter dem Tacheles, Oranienburger Straße 54-56, Mitte, Reservierungen unter Telefon: 281 61 09.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen