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„Auschwitz ist keine Lehre“

■ Matthias Kraemer zum Ende der Debattenreihe „Brückenschlag“ über das Verhältnis von Deutschen und Juden

Letzten Sonntag fand die letzte Veranstaltung der Reihe „Brückenschlag“ statt. Die von dem Theater-Produzenten Matthias Kraemer und dem Journalisten Kornelius Fürst organisierte Diskussionsreihe hat in 14 Veranstaltungen das Verhältnis der Deutschen und der Juden zueinander sowie zu ihrer gemeinsamen Geschichte untersucht. Zeitzeugen, Politiker und Akademiker aus aller Welt diskutierten über die verschiedensten Themen wie „Warum scheiterte die Judenemanzipation?“, „Kinder von Opfern und Tätern“ oder „Wird es in Zukunft wieder ein deutsches Judentum geben?“. Auf dem Podium saßen Fachleute mit den unterschiedlichsten Standpunkten von Heiner Geißler bis Hendryk Broder, von Julius Schoeps bis Ruth Klüger.

taz: Was war Euer primäres Anliegen mit dieser Debattenreihe?

Matthias Kraemer: Unser Anspruch war herauszukriegen, wo ist heute der Standort der Diskussion über den Holocaust und die daraus resultierende Geschichte.

Wie habt ihr biografische und politische Aspekte bei der Auswahl der Diskutanten gewichtet?

Bei allen Leuten gab es eine enge Verbindung von Thema und Biografie und dazu gehört natürlich die Höhe des Berufes, denn es sollte nicht um die reine Alltagserfahrung gehen, sondern um Menschen, die dank ihre Berufes in der Lage sind, diesen eine bestimmte Bedeutung und Kraft zu geben. Es war die Idee, das gemeinsam zu vermitteln.

Warum endet die Diskussionsreihe Brückenschlag jetzt?

Wir haben von uns aus einen Schlußstrich gezogen, denn uns ist folgendenes klar geworden: Wir werden im nächsten Jahr, zum 50jährigen Jubiläum des Endes des 2. Weltkrieges und der Nazi-Diktatur, mit einer Inflation von derartigen Veranstaltungen konfrontiert werden. Es wird einen Zirkus der Referenten geben, die überall die Schalmeien-Klänge des „Nie-Wieders“, des moralischen Betroffen-seins, des Besseren, des Guten abklingen lassen werden. Da wollten wir Brückenschlag nicht einreihen. Denn das ist einfach zu billig.

Eine nationale Identität Deutschlands kann nicht mehr existieren

Wir haben eine wissenschaftliche Publikations- und Vortragsflut ohne Ende und gleichzeitig diffundiert davon nichts in die Gesellschaft hinein. Der Versuch von Brückenschlag war aber, genau das zu durchbrechen, indem man lebendige Juden einlädt und nicht nur über tote redet.

Was aber trotzdem nicht aufhören darf.

Richtig. Aber mit den nicht mehr vorhandenen Juden wird in Deutschland umgegangen wie mit einem Geistergebilde. Deswegen ist das Thema Holocaust in hier nur noch moralisch und symbolisch besetzt. Für eine Auseinandersetzung mit den lebenden Juden aber besteht kein Interesse. Deswegen ist das rein benutzte Geschichte.

Warum ist diese Veranstaltung trotz großer Namen mit durchschnittlich 150 Zuschauern und minimalem Presseecho so schlecht rezipiert worden?

Dieses Thema hat eine ganz furchtbare Schlagseite. Es leben kaum noch Juden in Deutschland und trotzdem gibt es kaum eine Frage, die weniger abgehandelt wird, als diese. Gleichzeitig werden die Juden in diesem Land dazu benutzt, eine Art moralische Zählwährung zu sein. Warum wird Ignaz Bubis immer als erster befragt, wenn es einen NPD-Parteitag gibt? Offensichtlich sind die Juden diejenigen, die in diesem Land die moralische Autorität genießen, dafür zuständig zu sein, sich über undemokratische Auswüchse Gedanken machen zu dürfen.

Und weil die Deutschen ihr Gewissen dahin delegiert haben, kommen sie nicht zu solchen Veranstaltungen?

Das kann ich letztendlich nicht beurteilen. Solche Veranstaltungen haben ja leider immer den tragischen Charakter, daß diejenigen, die sich eh mit diesen Themen beschäftigen, die Kunden sind. Die aber, für die es wichtig wäre, ignorieren es. Aber es gab durchaus Veranstaltungen, die ein sehr großes Interesse gefunden haben.

Wenn Heiner Geißler da war.

Natürlich. Aber es gab auch eine bestimmte Themenprominenz. Das war zum Beispiel die Veranstaltung mit Dan Bar On und den Kindern von Opfern und Tätern, die eine Selbsthilfetherapiegruppe gegründet haben. Das hat einen unglaublichen Zulauf gehabt, weil da plötzlich alle über ihre Befindlichkeit oder Betroffenheit reden konnten. Da werden dann so emotionsschwangere Veranstaltungen draus, und die haben eh Hochkonjunktur. Ich aber fand es von den aufklärerischen Interessen, die die Reihe gehabt hat, eine der schlechtesten Veranstaltungen.

Gab es denn auch eine beste?

Die abschließende mit Henryk Broder und David Witzthum war für mich auch die beste. Denn da saßen zwei sehr nüchterne, fröhliche Intellektuelle, die über den Umgang mit dem Thema in Israel und Deutschland geredet haben. Und beide haben gesagt, es gibt zum Glück in beiden Ländern einen durch unterschiedliche Ereignisse in Gang gesetzten Normalisierungsprozeß, der das Thema entschwinden läßt. Und das ist gut so für das Leben der Menschen. In Israel ist es die beginnende Aussöhnung mit den arabischen Nachbarn und in Deutschland ist es die Wiedervereinigung. Und durch eine damit einhergehende Individualisierung und Pluralisierung von Interessen ist dieses Thema einfach nicht mehr die Kommandohöhe der Debatten.

Aber liegt dem eine Bewältigung oder schlicht ein Vergessen zugrunde?

Ich würde sagen, das ist das Leben, und es ist gut, daß das Leben so unmittelbar reagiert. Wir sind in dieser Reihe eigentlich auch zu dem Ergebnis gekommen, daß die öffentliche Meinung mit diesem Thema schon viel weiter ist, als die veröffentlichte.

Dieses Thema läßt sich nicht „bewältigen“

Kannst du bestimmte Parallelitäten in den verschiedenen Diskussionen erkennen. Gibt es noch bestimmte Festungen, aus denen heraus argumentiert wird. Gibt es sich wiederholende Argumentationen?

Es gibt keine Angriffe mehr. Alle Diskutanten, die aus Israel kommen, sagen übereinstimmend, der Holocaust ist in Israel ein Mythos, er dient als Kitt einer nationalen Identität eines Vielvölkerstaates. Das Verhältnis zu Deutschland heute aber hat nichts mehr zu tun mit dem Mythos Holocaust. Das sind zwei Ebenen, die völlig getrennt voneinander behandelt werden. Sicherlich gibt es auch andere Leute, aber die haben wir nicht eingeladen, und die wären auch nicht gekommen. Es gibt aber auch keinen, der sagt, dieses Thema ließe sich „bewältigen“. Es läßt sich nicht bewältigen. Auschwitz ist keine Lehre.

Welche Perspektive haben die amerikanischen Gäste in die Diskussion gebracht?

Die Beschäftigung in Amerika mit dem Holocaust ist eine ganz andere, weil es dort hauptsächlich die Erfahrung des Exils gibt, die bearbeitet wird. Dadurch ist mir wieder so klar geworden, daß sich Deutschland in einer Art Diaspora befindet, weil von der jüdischen Geschichte in Deutschland ist viel mehr in New York oder Buenos Aires zu finden als in Berlin oder Hamburg.

Wird es eine Dokumentation der Reihe geben?

Ich habe es versucht, aber da haben alle Verlage abgewunken.

Wie war Dein persönlicher Zugang zu dieser Idee? Du kommst ja eher vom Unterhaltungstheater.

Als diese Lichterkettengeschichten losgingen, hatte ich einerseits sehr zwiespältige Gefühle, andererseits habe ich mich gefragt: Was machst du eigentlich? Und dann ist mir die Gegenwart der Vergangenheit dieses Themas dadurch ziemlich präsent geworden, daß ich gesehen habe, daß in dieser Stadt 30.000 Leute fehlen, die diese Stadt auf allen Bereichen geprägt haben. Daß die Juden nicht mehr hier sind, das ist ihre Gegenwart. Dadurch kann man deutlich machen, daß eine nationale Identität Deutschlands überhaupt nicht mehr existieren kann.

Es gibt ein Hegel-Zitat, das ich eigentlich als Überschrift über die ganze Reihe hätte stellen können: „Ein geflickter Strumpf ist besser als ein zerrissener, nicht so das Selbstbewußtsein.“ Das heißt: Die Geschichte läßt sich nicht kitten. Es ist ein unheilbarer Bruch in das gebracht worden, was man nationale Identität nennt. Und da dachte ich, das müßte man mal etwas nachhaltiger durchdenken. So ist die Idee entstanden.

Was resultiert für dich jetzt aus der Reihe?

Eine Idee, die ich mit Hendryk Broder hatte, war, daß man jetzt eigentlich eine Komödie über das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen machen müßte, um mit dieser übers Land zu ziehen. Da hätte ich große Lust zu. Dafür suche ich jetzt einen Autor.

Fragen: Till Briegleb

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