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Oxford einmal anders

Asylbewerber müssen in einem privaten Haftzentrum auf ihre Anerkennung warten  ■ Von *

Flüchtlinge sind keine Verbrecher. In Großbritannien jedoch werden unschuldige Menschen, die vor der Verfolgung in ihren Heimatländern geflohen sind, zunehmend ohne Anklage und Prozeß, ohne Zeitangabe und nahezu ohne das Recht auf Freilassung durch Kaution in Haft genommen – und zwar aufgrund willkürlicher Meinungen irgendwelcher Einwanderungsbeamten. Derlei geschieht nirgendwo sonst in der Europäischen Union und ist eine klare Verletzung der UN-Flüchtlingskonvention. Die Betroffenen können in einem britischen Gefängnis bis zu 18 Monate festgehalten werden und fristen ihr Dasein dort unter strengen Geheimhaltungsbedingungen und ohne jede Erklärung für die Gründe ihrer Haft. Die meisten werden am Ende ausgewiesen.

Wir nahmen die beschämende Heimlichkeit dieser Verhältnisse in Oxford erst wahr, als die Regierung vor ziemlich genau einem Jahr, im November 1993, im Norden der Stadt, im Campsfield House, ein Haftzentrum für Einwanderer eröffnete. Während die Regierung behauptet, ihr Ziel sei die Reduktion der Zahl von Asylsuchenden in Gefängnissen, hat sich zwischen Juli 1993 und Mai 1994 die Anzahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Haftzentren und Gefängnissen tatsächlich fast verdoppelt. Zur Zeit leben 700 „Asylsuchende“ so, im Campsfield House alleine sind es 200. Die anderen werden an ähnlichen, nahezu geheimgehaltenen, übers ganze Land verstreuten Orten festgehalten: in einem abbruchreifen Haftzentrum in Harmondsworth nahe dem Flughafen Heathrow, das seit 1970 existiert; in Haslar nahe Plymouth seit 1989, eine frühere Kaserne, die von der Gefängnisbehörde betrieben wird; prinzipiell in der Nähe von Flughäfen und Polizeistationen; und fast 200 Asylsuchende sitzen in ganz gewöhnlichen Gefängniszellen. Außer einigen wenigen aus Osteuropa kommen alle aus Ländern der Dritten Welt, besonders aus Ghana, Nigeria, Zaire, Algerien, Angola, der Elfenbeinküste und aus südasiatischen Ländern.

Campsfield House ist ein neu hergerichtetes Jugendhaftzentrum mit über sechs Meter hohen Metallzäunen, elektronisch gesteuerten Toren, Videokameras innen wie außen und seit neuestem einer Rolle Stacheldraht obendrauf. Campsfield wird von der privaten Sicherheitsfirma „Group 4“ betrieben, deren schlechtbezahlte Mitarbeiter in zweiwöchigen Schnellkursen auf ihre Arbeit vorbereiet werden und deren Verhaltenspalette von freundlich bis bösartig reicht. Die dort Festgehaltenen müssen ständig Durchsagen über die hauseigene Lautsprecheranlage ertragen, die in jedes Zimmer übertragen werden; nicht selten kommt ein morgendlicher „Feueralarm“, oder was dergleichen Gemeinheiten mehr sind, noch hinzu. Nur sehr selten gibt es Kurse oder andere Beschäftigungsangebote. Die medizinische Versorgung ist minimal.

Normalerweise werden die Häftlinge nicht in ihren Zimmern eingeschlossen; Besucher dürfen in Besucherzimmern nur einzelne Häfltinge besuchen, deren Namen sie vorher kennen. Allerdings gibt es inzwischen eine schwarze Liste „unerwünschter“ Besucher. Über sie und die Personen, die sie besuchen wollen, muß die Einwanderungsbehörde informiert werden. Mindestens zwei Besucher, beide Mitglieder unserer Kampagne zur Auflösung des Haftzentrums, sind schon unter Anwendung von physischer Gewalt hinausgeworfen worden.

Die Asylsuchenden, die in diese Hölle geraten, sind lediglich aufgrund „administrativer“ Entscheidungen der Einwanderungsbeamten da. Nach Angaben des Innenministeriums werden 75 Prozent aller Asylsuchenden festgehalten; den anderen 25 Prozent erlaubt man die „befristete Einreise“ meist mit der Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und täglich bei der Polizei zu melden. Von den Festgehaltenen werden mehr als die Hälfte direkt am Hafen oder Flughafen der Einreise festgenommen. Innerhalb weniger Tage müssen sie eine Liste standardisierter Fragen beantworten, zumeist ohne Rechtsbeistand. Nach zwei bis drei Monaten Haft werden sie zur Verkündung der Entscheidung zur Einwanderungsbehörde bestellt. In der Regel bedeutet das, vor allem für zuvor Festgenommene, die Ablehnung ihres Asylantrags. Von den insgesamt 22.370 Menschen, die 1993 um Asyl baten, wurden 1.590 akzeptiert; 11.125 erhielten den höchst prekären Status „exceptional leave to remain“, ELR (Ausnahmebleibeerlaubnis); im letzten Viertel des Jahres erhielten von 5.650 Antragstellern nur 150 Asyl und 520 die ELR. Das entspricht einer Reduktion von früher über 50 auf jetzt nur noch 10 Prozent positiv beschiedener Anträge.

An den halbstündigen Anhörungen nehmen Anwälte, Dolmetscher und Einwanderungsbeamte teil. Den Antragstellern gibt man das Rückflugsdatum in ihre Herkunftsländer bekannt, und ihnen bleiben dann nur die folgenden sieben Tage, in denen sie versuchen können, eine Revision zu erreichen. Der Flug wird nur abgesagt, wenn sie das Revisionsverfahren in Gang bringen. Dieses findet in der Regel nach weiteren zwei Monaten Warten in Haft im Beisein eines vom Büro des Obersten Richters ernannten „Schiedsrichters“ statt. Er kann über Leben und Tod entscheiden, Zeugen dürfen geladen werden. Kommt der „Schiedsrichter“ zu einer Entscheidung, die von der des Innenministeriums abweicht, kann letzteres wieder Revision einlegen und die Betroffenen bleiben weiter in Haft. Auch Anwälte können gegen die Ablehnung des Asyls Revision einlegen, allerdings nur aus Verfahrensgründen und ohne neue Beweisführung; auch in diesen Fällen bleiben die Betroffenen wiederum in Haft. Erst wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, wird ausgewiesen.

Sobald der Antrag auf Asyl abgelehnt ist, kann der Schiedsrichter eine Freilassung auf Kaution verfügen, allerdings sind die Kautionen unmöglich hoch; selbst für 4.000 Pfund (ca. 10.000 Mark) wird die Freilassung nicht immer gewährt. Einige wenige Häftlinge von Campsfield wurden befristet ins Land gelassen, nachdem Besucher ihnen eine Bleibe boten. Aber die Beamten der Einwanderungsbehörde können den befristeten Aufenthalt ohne Angabe von Gründen jederzeit rückgängig machen, indem sie – ohne Beweise – „vermuten“, daß der Betreffende „sich nicht an die Auflagen“ halten werde, da die Auflagen ja in der Tat kein „ordentliches Gericht“ abgesegnet hat.

Das einzige wahrnehmbare Muster der Ablehnungsbescheide ist, daß die Betroffenen in der Regel aus Ländern kommen, deren Staatsbürgern Asyl systematisch verweigert wird. 1992 wurde beispielsweise 99 Prozent aller antragstellenden Zairer und Angolaner, 98 Prozent der Ghanaer, 97 Prozent der Inder und 95 Prozent aller antragstellenden Pakistani sowohl der Flüchtlingsstatus als auch die Ausnahmebleibeerlaubnis ELR verweigert. Alle fünf Nationen sind in Campsfield zahlreich vertreten. 40 Prozent aller als Flüchtlinge Akzeptierten stammen dagegen aus dem Iran, Irak und dem Sudan. Selbst hier jedoch sind die individuellen Entscheidungen unverständlich und willkürlich.

Für die Asylablehnung gibt die Einwanderungsbehörde schriftliche Gründe. Darunter sind oft eine Infragestellung der Identität der Flüchtlinge, ihrer Nationalität und der von ihnen erzählten Fluchtgeschichte. Einen afrikanischen Flüchtling belehrte man darüber, daß er einen bestimmten Fluß nicht habe durchschwimmen können, weil dieser doch voller Krokodile sei. Überhaupt fällt auf, daß den Flüchtlingen grundsätzlich nicht geglaubt wird. Viele berichten verzweifelt, daß man ihnen kaum zuhört und jedes Wort in Zweifel gezogen wird. Wenn sie Dolmetscher und Beamte auf Mißverständnisse oder inkorrekte Protokolle aufmerksam machen, werden ihnen Lüge und Widersprüchlichkeit vorgeworfen.

Der häufigste Grund für die Ablehnung eines Asylantrags ist die offizielle Weigerung, in bestimmten Ländern die Existenz politischer Verfolgung anzuerkennen. In einer parlamentarischen Anfrage, die sich auf einen bestimmten Fall bezog, antwortete Innenminister Michael Howard dem Außenminister Douglas Hurd, daß sich das Prüfungsverfahren auf die Informationen „unserer Botschaft in Kinshasa“ gründe; dort könne den „Verantwortlichen und ihrem Personal vor Ort eine objektive Beurteilung der politischen Entwicklung“ zugetraut werden; und „obwohl es sporadisch zu Verhaftungen politischer Aktivisten“ käme, gebe es doch „nur sehr wenige Häftlinge, und die breite Opposition gegen Präsident Mobutu und seine Regierung wird in der Regel toleriert.“ Das ist jedoch nicht nur prinzipiell falsch, sondern erklärt vor allem nicht, warum denen, die tatsächlich politische Gefangene in Zaire gewesen sind, bei uns kein Asyl gewährt wird.

Der Betreiber des Haftzentrums, Group 4, benutzt die Androhung der Verlegung in ein gewöhnliches Gefängnis als Druckmittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin. Da sich unter den Häftlingen jedoch viele politische Aktivisten befinden, die sich schon gegen die Tyrannei in ihren Heimatländern gewehrt haben, rebellieren sie. Im März dieses Jahres begann im Campsfield House und in anderen Haftzentren ein Hungerstreik von 180 Häftlingen, nachdem zehn Algerier im Pentonville- Gefängnis und zehn weitere Häftlinge aus Campsfield mit einem Hungerstreik ihre Freilassung erkämpft hatten. Die Hungerstreikenden von Campsfield ignorierten eine per Hauslautsprecher durchgegebene Warnung, daß sie durchaus nicht mit demselben Ergebnis rechnen könnten, und gaben eine Stellungnahme heraus, in der sie erklärten, daß Campsfield „ein Gefängnis“ ist und daß sie, solange ihre Anträge geprüft werden, „frei sein wollen“. Außerdem schlugen sie vor, daß Großbritannien seine „Unterschrift unter die Genfer Konvention zurückziehen und lieber von vornherein alle Asylsuchenden“ abweisen solle, damit den Flüchtlingen „Trauma und Unsicherheit einer solchen Haft erspart werden“.

Die Angestellten von Group 4 stellten als Antwort Essen in die Zimmer, und angeblich versuchte man, einigen Hungerstreikenden das Essen zwangsweise einzugeben. Beamte der Einwanderungsbehörde machten falsche Versprechungen: man würde Leute aus der Haft entlassen, wenn sie wieder äßen. Häftlinge wurden in ihren Zimmern und auf Fluren eingeschlossen, Besucher, Telefongespräche und Briefkontakte wurden verboten, und medizinische Versorgung – falls es sie überhaupt gab – verwandelte sich von Fürsorge in Bedrohung. Zwischen zehn und 20 Häftlinge wurden in gewöhnliche Gefängnisse verlegt. Das Innenministerium gab eine Presseerklärung heraus, daß es sich bei ihnen um Rädelsführer handele, woraufhin die [afro-karibische, d.Ü.] Zeitung The Voice fälschlicherweise behauptete, die Gefangenen seien gewalttätig geworden und hätten „Möbel zerschlagen“.

Bei ihrer Ankunft in den jeweiligen Gefängnissen wurden sie, wie üblich, nicht etwa mit einer Klage konfrontiert, sondern in Isolationszellen gesteckt. Die meisten von ihnen beteiligten sich an einer Aktion, bei der etwa 100 Häftlinge in den Innenhof entkamen und aufs Dach kletterten, von wo aus sie sich mit Demonstranten vorm Gefängnistor durch Zurufe verständigen konnten. Mindestens einem wurde später politisches Asyl gewährt.

Die Hungerstreikenden erreichten ihre Freilassung nicht, aber zwei Monate später rebellierten die Campsfield-Gefangenen wieder. Am 5. Juni fand ein massenhafter Protest im Campsfield- Haus statt, hervorgerufen durch die Ausweisung eines Algeriers, der entgegen dezidierten Zusagen von Einwanderungsbeamten unangekündigt abgeholt wurde. Die Zentrumsangestellten und Beamten der Einwanderungsbehörde mußten sich in ihre Büros einschließen, und die Häftlinge besetzten das Gebäude für mehrere Stunden; einige flohen in den Innenhof und kletterten mit Hilfe von Anstaltsleitern auf die Zäune. Schließlich machten 200 Polizisten in Kampfanzügen und mit Hunden dem Protest mit Gewalt ein Ende. Bisher hat das Innnenministerium keine Antwort auf die Frage nach dem Schicksal einiger Gefangener gegeben, die nach dem polizeilichen Eingriff in Ambulanzen abtransportiert worden sind.

Indem sie so unmißverständlich klarstellten, daß ihre Haft unmenschlich und unerträglich ist, erreichten die Gefangenen durch ihren Protest mehr als alle Kampagnen ihrer Freunde und Unterstützer zuvor.

Die Aktivisten des Protests müssen zudem äußerst vorsichtig mit der Publikation konkreter Fälle sein, denn sowohl das Innenministerium als auch die Gefängnisse rächen sich prompt. Zwei der Algerier wurden beispielsweise nach ihrem Hungerstreik gleich wieder festgesetzt, weil sie an einer Demonstration vor dem Campsfield House teilgenommen hatten und in einer Fernsehsendung aufgetreten waren; auch ein Ghanaer wurde nach einem Fernsehinterview wieder in Haft genommen.

Mit einer bewährten Kombination aus Einschüchterung und Geheimhaltung gelingt es so der Regierung, die Häftlinge als „angebliche Asylsuchende“ und „illegale Einwanderer“ darzustellen und präsentiert der Öffentlichkeit mit Vorliebe Bilder von heroingefüllten Kondomen im Abwassersystem von Campsfield.

Der inzwischen entlassene Staatssekretär Charles Wardle, zuständig für Einwanderungsfragen, pflegte jede Kritik an der Politik der Festsetzung von Asylsuchenden als „auf eine winzige Minderheit beschränkt“ abzuwehren und bezeichnete die Aktivisten als „bunte Mischung aus Liberalen und Linksradikalen“. Die Haft unschuldiger Menschen ohne Anklage ist unserer Meinung nach jedoch nicht nur an sich schon schockierend, sondern stellt das gesamte System der Einwanderungskontrolle in diesem Land in Frage.

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