: Auch wer ihn einst nicht mochte...
Erwin Geschonneck feierte seinen 88. unter großer Anteilnahme der (Ost-)Berliner Künstlerschaft – im Geschonneck: einem Versuch, Kunst und Kommerz in der Kneipe zu einen ■ Von Susanne Bernhardt
In den denkmalgeschützten ehemaligen Lagerhallen der Deutschen Bahn am S-Bahnhof Hackescher Markt gab es am Dienstag ein Gerangel: um den Ehrenplatz des Geburtstagskinds, das – eingerahmt von Familie und Blumengesteck sowie einer überdimensionalen Champagnerflasche – das Geschehen des Abends mit nimmermüdem Lächeln quittierte und Küßchen sowie den Blitzlichtregen ohne Blinzeln einsteckte. Der Schauspieler Erwin Geschonneck, Namenspatron der entstehenden „Gast-Stätte für Künstler und deren Kundschaft“, hatte 300 Gäste zum „Richtfest“ geladen.
„Irgendwann zwischen März und Mai 1995“ soll nach Angaben der veranstaltenden Theater- und Gastronomie GmbH (THEGA) das Geschonneck fertiggestellt und eröffnet werden – der Rahmen, in dem der Geburtstag gefeiert wurde, war also noch provisorisch.
Der jetzt 88jährige Schauspieler, der seit den 30er Jahren mit Bertolt Brecht zusammenarbeitete, ist durch jahrzehntelange Arbeit am Berliner Ensemble sowie durch zahlreiche DEFA-Filme („Das kalte Herz“, „Die Unbesiegbaren“) bekannt geworden. Seit September 1993 ist er einmal monatlich in Heiner Müllers Inszenierung „Duell Traktor Fatzer“ zu sehen, das nächste Mal am 3. Januar.
Flachmänner und „Küchenlieder“
Zu den Klängen von „Orgel-Rieke und Schieber-Max wurde zunächst ordentlich aufgetischt: 500 Liter Bier, 70 Kilogramm Hackepeter und ein lächelndes Spanferkel bildeten, hübsch garniert, die „erste Fuhre“ des Buffets, das gegen 24 Uhr – also pünktlich zum erwarteten Einfall der noch in den Theatern arbeitenden Künstlerschaft, noch einmal aufgestockt werden sollte.
Unter schillernden Firmenschildchen wurden verschiedenste Erfrischungsgetränke feilgeboten, an den Wänden fanden sich Plakate mit den Logos der Sponsoren aus Wirtschaft und Gastronomie, und schon am Eingang gab es mit dem Geschonneck-Emblem verzierte Flachmänner mit klarem Schnaps und die soeben fertiggestellte erste „Küchenlieder“-CD des Jubilaren zu erstehen.
Im Vordergrund stand allerdings die Kunst: die Gäste hatten mit einer Kette von persönlichen Geburtstagsständchen ein illustres Abendprogramm entworfen, das im Verlauf des Abends zwar häufiger umgestellt und dem Eintreffen und den Launen von Darstellern und Publikum angepaßt wurde, aber bis in die frühen Morgenstunden tapfer durchgehalten wurde.
Michael Ihnow von der Komischen Oper legte gleich zu Beginn sein erstklassiges, nur durch den ersten hungrigen Run aufs Buffet angefochtenes „Pas de deux“ mit Emma Jane Morton auf die Bühne. Die Mimosen besangen Rotgrüngelbschwarzes im Chansonstil der dreißiger Jahre. Peter Kersten, bekannt aus dem Kinderfernsehen und zur Zeit mit einem Film über Nixen und anderes Meergetier beschäftigt, parodierte den Medienrummel um das „Leitfossil“ Geschonneck.
Gemeinsames Hoch auf „Örwinn“
Die Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ präsentierte Musical mit Jens-K. Stoll am Piano, „Das Haus“ steptanzte, und Gerlinde Kempendorf intonierte Lieder von Claire Waldoff und Ausschnitte der „Lucie“ aus der Dreigroschenoper. Das „Ei“ aus dem Friedrichstadtpalast, mit Achim Wolff und Thomas Poetsch, zelebrierte seinen Einstand im zukünftigen Stammetablissement, und die Rapper D'Jackson Suriam trugen nebst zeitgenössischer Note ein mehrfaches gemeinsames Happy Birthday – „to Örwinn“ bei.
Ulrich Plenzdorf übte Revolutionskritik
Auch der Adel fehlte nicht – Marcel und Johanne Fürstenau von Harsdorf schmückten zum Beispiel Gästeliste und lose gruppierte Holzbänke ebenso wie die „Lütte“ Angelika Mann oder Franziska Trögner. Die Rocksängerin Tamara Danz war zwar da, hielt sich aber ebenso von der Bühne fern wie Gisela May und Dirk Michaelis, dessen alterprobtes „Fischlein unterm Eis“ zu vorgerückter Stunde nicht mehr passend schien.
Evelyn Künneke besang mit „einem alten Lied aus dem Berlin von meinem Vater“ den Künstlerball und seine Tücken – und endete mit einem „Dankeschön“ aus ihrer für das kommende Frühjahr geplanten „letzten Tournee und letzten LP“. Ulrich Plenzdorf sinnierte in seinem Gedichtvortrag über „Revolte, Reform, Revue“ – und fand lärmenden Beifall mit seiner ostalgisch angehauchten Revolutionskritik.
So schlecht sei es zu Ostzeiten ja auch nicht gewesen, mit „ein bißchen Unterdrückung“ und „wat jebrauchtet“.
Überhaupt, so ganz jahreszeitgemäß, war man ein bißchen sentimental und ganz en famille, alte Bekannte mit neuen und alten Gesichtern, ein bißchen Revival der vom Showbiz vertriebenen Nestwärme früherer Zeiten. Jürgen Walter schlagerte „Mensch mein Papa“ aus Erwin Geschonnecks gleichnamigem Film und beschwor die Kunst der Schönheit mit 88 Jahren.
Ohne Minetti, aber mit Tombola
Als Überraschungsgast war Lutz Moik erschienen, Geschonnecks Filmpartner aus dem 1951 gedrehten ersten DEFA-Farbfilm „Das kalte Herz“ von Paul Verhoeven. Schön sei sie gewesen, die Zusammenarbeit, auch wenn er damals Geschonneck nicht habe leiden können. Angelika Weiz schließlich jazzte mit Wiedenmüller/ Bicking/Schneider, was das Zeug hielt, bis der informellere Teil der Party die Gäste enger zusammenrücken ließ. Eigentlich war ja auch Bernhard Minetti erwartet worden, der nach verständlicherweise durchaus unbestätigten Angaben des FAB-Verlags („FAB Boulevard“) zukünftig mit Geschonneck im Geschonneck mitternächtens Strindbergs „Gespenstersonate“ spielen würde, bis die Bretter krachten oder zu weiteren Improvisationen ins BE aufgebrochen würde ... der allerdings sagte „wegen Überlastung“ ab – und um, 89jährig, nicht den Jubilar an Jahren auszustechen.
Um die Idee des Geschonneck „vom Papier ins Leben zu befördern“, haben bislang über 400 Künstler und Kunstliebhaber einen Anteil der Kommanditgesellschaft erworben und sich damit einen Stammplatz mit fünfprozentigem Zechrabatt gesichert. 1,6 Millionen Mark Gesamtvolumen hat dieses Projekt der THEGA unter Geschäftsführung des Regisseurs Volker Büttner und des Juristen Maik Hinkel. Somit war dies zugleich die Präsentation einer der vielbesungenen harmonischen Einheit von Kultur und Kommerz unter dem noch unverkleideten Mauerwerk, das schon bald für das Rattern der S-Bahn unempfindlich sein soll.
So war auch der erste Preis der auf „11 Uhr 11“ vorgezogenen und mit Spannung erwarteten Tombola ein Anteil über 2.500 Mark, glanzvoller Höhepunkt einer ansonsten radioweckerlastigen Werkschau der Sponsoren. (Mit einem Aquarell von Goller und etlichen Theaterkarten wurde allerdings auch ein bißchen Kunst verlost.)
Ein Versuch, „Zille sein Milljöh“ mit dem künstlerischen Engagement der dreißiger Jahre ebenso zu verbinden wie metropolitanes Flair mit der Bodenständigkeit von Bier und Bulette. Nach dem vom Regisseur Emil Neupauer unterstützten Konzept soll hier schon bald ein „Gebräu aus Berliner Posse, Jazz und Show, Tanz und Satire“ serviert werden, um der provinziellen Miefigkeit ein Ende und neue Standards für den Austausch von Öffentlichkeit und etablierten und jungen KünstlerInnen zu setzen: „Der ganze Raum soll eine Bühne sein.“ Na dann.
Ab März oder Mai oder irgendwann: Geschonneck, im S-Bahnhof Hackescher Markt, Am Zwirngraben 8–10.
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