: Einmischung in den russischen Hinterhof
Angesichts des Krieges in Tschetschenien wächst in den USA die Kritik an Clintons Rußland-Politik / Republikaner wollen höhere Finanzhilfe für Rußlands Nachbarstaaten ■ Aus Washington Andrea Böhm
Man windet sich im Weißen Haus und im US-Außenministerium. Die politische und finanzielle Unterstützung für Boris Jelzin gilt in Washington immer noch als eines der erfolgreichen Kapitel der US-Außenpolitik – trotz konträrer Interessen in Bosnien und in der Frage der Nato. Doch seit die amerikanischen Medien ausführlich über die russische Invasion in Tschetschenien berichten, Kamerateams die Leichen und Ruinen der Bombenangriffe auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny filmen und sich Nachrichten aus Moskau über eine interne Führungskrise häufen, gerät die Clinton-Administration mit ihrer Nicht-Einmischungs-Strategie zunehmend in Bedrängnis.
Boris Jelzin habe „möglicherweise das getan, was getan werden mußte“, hatte US-Außenminister Warren Christopher zu Beginn der russischen Invasion geäußert. US- Verteidigungsminister William Perry gab bei einem Treffen mit dem russischen Generalstabschef Michail Koleschnikow in Moskau am 16. Dezember zum Besten, daß die Invasion in Tschetschenien „nicht unser Bedürfnis nach einer pragmatischen Beziehung zu Rußland“ beeinträchtige. Christopher und Perry entsprachen damit ganz der Devise, die Bill Clinton im Januar dieses Jahres ausgegeben hatte, als er die Einmischung Moskaus in Angelegenheiten seiner Nachbarschaften mit US-Interventionen jeglicher Art im amerikanischen „Hinterhof“ verglich.
Sprecher der Administration versuchten damals noch, die Aussage ihres Chefs etwas abzumildern, um vor allem die baltischen Staaten zu beruhigen. Doch grundsätzlich gilt: Man gesteht Moskau die Republiken der ehemaligen Sowjetunion als Einflußsphäre zu und unterläßt es, das Verhältnis zu Rußland durch Kritik an der Wahl der Mittel zu gefährden. Absolute Priorität hat die Sicherung des Nukleararsenals in der Region. Darüber hinaus werden außenpolitische Schritte vermieden, die – wie zum Beispiel die Nato-Mitgliedschaft ehemaliger Staaten des Warschauer Paktes – anti-westlichen Nationalisten in Rußland Auftrieb geben könnten. „Russia First“ lautet der inoffizielle Titel für diese Strategie, die die Handschrift des stellvertretenden US- Außenministers Strobe Talbott trägt.
Diese Politik steht nun, nach dem republikanischen Sieg bei den Kongreßwahlen am 8. November, vor der Revision. Senator Mitch McConnell, der zukünftig den für Auslandshilfe zuständigen Unterausschuß im Senat leiten wird, will nicht nur drastische Kürzungen in diesem Bereich einleiten, sondern auch einen Anteil der Finanzhilfe für Rußland an die ehemaligen Republiken der Sowjetunion umleiten. „Ich will Auslandshilfe als ein Instrument zur Stärkung der Unabhängigkeit dieser Länder einsetzen“, erklärte McConnell. „Und ich will dafür sorgen, daß die Administration von ihrer ,Russia- First‘-Politik abrückt.“
McConnells Äußerungen basieren auf zwei parteipolitischen Prämissen: Erstens halten die Republikaner Clintons Einschätzung der Zukunft Rußlands für zu optimistisch. Zweitens wollen sie den – drastisch zu kürzenden – zivilen Teil der Auslands- und Entwicklungshilfe nur noch nach der Maßgabe des nationalen Sicherheitsinteresses vergeben. Das aber besteht nach Ansicht der Republikaner darin, Rußland mit „demokratischen kapitalistischen Nationen“ zu umzingeln. Diese sollen nicht nur Geld bekommen, das bislang für Moskau bestimmt war, sondern auch durch eine Ausdehnung der Nato geschützt werden. Ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes den Weg in das westliche Verteidigungsbündnis zu eröffnen, ist eine Forderung, die die Republikaner in ihrem Aktionsplan „Vertrag mit Amerika“ festgeschrieben haben.
Die russische Invasion in Tschetschenien ist dabei nur bestärkendes Moment, nicht aber Auslöser der republikanischen Pläne für eine neue Rußlandpolitik. In den konservativen Kreisen der Partei hatte man sich vom alten Feindbild aus dem Kalten Krieg nie so recht verabschieden wollen. Unter den moderateren Außenpolitikexperten wie Richard Lugar, Senator aus dem Bundesstaat Indiana und zukünftig hinter dem erzkonservativen Jesse Helms der zweite Mann im außenpolitischen Ausschuß des Senats, hat sich vor allem Unmut über die Haltung Moskaus gegenüber Expansionsplänen der Nato breitgemacht. Moskau wolle, so Lugar, in dieser Frage ein implizites oder gar explizites Vetorecht. Fest steht: Die Rußlandpolitik der Regierung wird mit dem Beginn der nächsten Legislaturperiode des US-Kongresses nicht mehr, wie bislang, von einem überparteilichen Bündnis im Parlament getragen.
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